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Modelle vs. menschliche Gebeine

Die Verwendung der menschlichen Gebeine unbekannter Provenienz birgt zahlreiche ethische Dilemma. Wie bereits beschrieben, ist es bei den meisten Lehrskeletten nicht klar, wer die Menschen waren und zweifelhaft ob sie einer Verwendung ihrer Gebeine zugestimmt hätten. In Provenienz 101 wird der Vorgang der Provenienzforschung beschrieben und zeigt, dass die Verwendung unbekannte menschlicher Gebeine in der Forschung und Lehre unzulässig und ethisch nicht vertretbar ist. Im Paper von Ariel Gruenthal-Rankin und Tessa Somogyi wird eindrücklich beschrieben, welche kolonialen und westlichen Machtstrukturen den Lehrsammlungen zugrunde liegen und welche neuen Denkansätze es im Umgang mit ihnen braucht.

Der Einsatz von Modellen oder Replikaten kann ethisch unbedenklicher sein. Zwar muss man sich besonders bei Abgüssen originaler menschlicher Gebeine fragen, ob die Menschen dieser speziellen Verwendung ihres Körpers auch zugestimmt haben oder ob es sich ebenfalls um Menschen handelte, deren Provenienz ungeklärt war (7). Daher ist der ethisch am wenigsten bedenkliche Weg, Modelle, Scans oder Online-Tools zu verwenden, deren Anfertigung explizit von den Spendern erlaubt wurde und die mittlerweile eine hohe Qualität aufweisen (2). Dies gilt insbesondere für Schüler*innen oder Lehramtsstudierenden bei denen keine spezialisierte Ausbildung im Fokus steht, wie beispielsweise bei Medizinstudierenden oder Forensiker*innen, welche für ihre zukünftige professionelle Tätigkeit im Kontakt mit echten menschlichen Überresten geschult sein müssen. Zudem war der Ankauf der Lehrskelette aus ethischen Bedenken ab den 1980er Jahren nicht mehr möglich, was automatisch zur Beschaffung von Modellen führte. 

Falls es also noch ein Lehrskelett an der Schule oder Hochschule gibt, sollte dieses auf keinen Fall zum Lehren der Anatomie benutzt werden, ohne sich vorher Gedanken über die Herkunft der Gebeine und die damit assoziierten ethischen Dimensionen gemacht zu haben. Das ist auch möglich, ohne die menschlichen Überreste im Klassenraum zu zeigen. Die Lernenden können über den Einsatz der Skelette, das Sammeln menschlicher Gebeine und das Entstehen der Sammlungen ethisch diskutieren und reflektieren und über die Gefühle sprechen, die sie dabei empfinden.

Aus biologiediaktischer Perspektive kann ein Modell sowohl ein Medium, als auch eine Methode sein. Mithilfe von Modellen können Strukturen oder Funktionen gezeigt werden, die so nicht zugänglich oder sichtbar sind. Gleichzeitig können Fragestellungen und Hypothesen mithilfe von Modellen überprüft und weiterentwickelt werden. Jedes Modell hat gegenüber der originalen Vorlage Limitationen - bestimmte Farben, Beschaffenheiten und Strukturen lassen sich in Modellen einfach nicht darstellen und die unendlich vielen Eigenschaften des Originals werden verkürzt oder bestimmte Eigenschaften besonders hervorgehoben (3,4). 

Modelle und menschliche Gebeine lassen sich für die Nutzung in der Schule und Lehramtsausbildung anhand ausgewählter Kriterien gut gegenüberstellen:

 

Modell

menschliche Gebeine

Handling

relativ einfach, da die Modelle (aus Plastik) stabil und robust sind, leichter Transport in den Unterrichtsraum 

vieles muss beachtet werden - die Gebeine sind mit zunehmendem Alter porös und zerbrechlich; respektvoller Umgang sollte beachtet werden 

Lagerung

keine besonderen Anforderungen

respektvolle, ansprechende Aufbewahrung in der Sammlung, eigener Ort für die menschlichen Gebeine, der nicht für alle zugänglich ist, trocken, temperaturbeständig 

Informationsdichte beim Betrachten/Arbeiten 

bei einem Modell werden bestimmte Informationen verkürzt, um die Darstellung zu erleichtern, Fokus auf das Wesentliche → Informationsdichte geringer als beim Original

bei dem Original bleiben alle Details und Feinheiten erhalten, außerdem ist der*die Lernende in Kontakt mit echten menschlichen Knochen, was eine Herausforderung sein kann → Informationsdichte hoch

Darstellung der Strukturen

Modelle haben Limitationen → bestimmte Strukturen nicht darstellbar, die Diversität menschlicher Anatomie oder bestimmte Pathologien nicht replizierbar 

feine, besondere Strukturen (wie das Innere eines Knochens oder die Siebbeinplatte) werden sichtbar, Oberfläche, Farbe, Haptik eines echten Knochens kann erfahren werden

Aus didaktischer Sicht könnte man die Verwendung menschlicher Gebeine mit dem Einsatz von Lebewesen im Unterricht vergleichen. Hierbei gibt es einiges zu beachten und ein Lerneffekt tritt nur bei sehr guter Vorbereitung und Unterrichtsführung ein. Die Schülerinnen und Schüler können beim Einsatz mit Tieren vor allem ihre Empathie, ethische Reflexion und das Verantwortungsbewusstsein stärken. Geht es nur um die Wissensvermittlung, können Bilder, Filme oder Modelle einen größeren Lerneffekt haben (6). 

Menschliche Gebeine haben eine ähnlich hohe Informationsdichte wie lebendige Tiere und können beim Lernenden starke Emotionen auslösen. Sie “kommentarlos” in den Unterrichtsraum zu stellen, könnte sogar negative Effekte haben. Manche Lernende  finden Knochen, insbesondere Schädel, gruselig, schaurig oder eklig. Diese Emotionen müssen beachtet und gut aufgefangen werden und es sollte den Lernenden freigestellt sein, ob sie die menschlichen Gebeine sehen möchten oder nicht.

Wenn es also um die reine Wissensvermittlung der menschlichen Anatomie geht, so sind Modelle die didaktisch bessere Wahl, da sie sich auf das Wesentliche beziehen und keine emotionalen und ethischen Herausforderungen mit sich bringen. Ein Lehrskelett im Unterricht zu benutzen, nur weil es eben in der Sammlung der (Hoch-)Schule ist, hat weder für die Lernenden einen Vorteil, noch ist es respektvoll den menschlichen, anonymen Überresten gegenüber.

(1) Goodison, G. A., & Aris, C. (2023), Analysis of the use of human remains as teaching materials in higher education: examining differing opinions between population subgroups. European Journal of Anatomy, 27(4), 503–516. https://doi.org/10.52083/EWHY1593

(2) Gruenthal-Rankin, A. and Somogyi, T. (2025), Opening the Cabinets: A Critical Evaluation of Skeletal Teaching Collections in the United States, Am J Biol Anthropol, 186: e25051. https://doi.org/10.1002/ajpa.25051

(3) Krell, M., Upmeier zu Belzen, A. & Krüger, D. (2016): Modellkompetenz im Biologieunterricht, in: Sandmann, A. & Schmiemann, P. (Hrsg.): Biologie lernen und lehren. Biologiedidaktische Forschung: Schwerpunkte und Forschungsstände. (S. 83– 102). Berlin: Logos

(4) Upmeier zu Belzen, A. & Krüger, D.: Modellieren, in: Gropengießer, H., Harms, U., & Kattmann, U. (Hrsg.) (2013). Fachdidaktik Biologie. Hallbergmoos: Aulis, S. 316-327

(5) Robbins Schug, G., Killgrove, K., Atkin, A., & Baron, K. (2021), 3D dead: Ethical considerations in digital human osteology, Bioarchaeology International, 4(3–4), 217–230, https://doi.org/10.5744/bi.2020.3008

(6) Randler, C. (2013). Unterrichten mit Lebewesen. In Gropengießer, H., Harms, U., & Kattmann, U. (Hrsg.) (2013). Fachdidaktik Biologie (S.299ff.). Hallbergmoos: Aulis

(7) Halmaciu, Ioana & Suciu, Bogdan & Trambitas, Cristian & Vunvulea, Vlad & Ivanescu, Adrian & Clipa, Adriana & Adascalitei, Petru & Brinzaniuc, Klara & Fodor, Decebal, (2018), It is Useful to Use Plastic Anatomical Models in Teaching Human Anatomy?, Materiale Plastice. 55. 414-418, DOI: 10.37358/MP.18.3.5040