Springe direkt zu Inhalt

Stell dir vor, du findest in der Schule oder Hochschule ein Skelett....

...oder andere menschliche Übereste - was bedeutet das eigentlich genau? 

„Alle unbearbeiteten, bearbeiteten oder konservierten Erhaltungsformen menschlicher Körper sowie Teile davon, [insb.] Knochen, Mumien, Moorleichen, Weichteile, Organe, Gewebeschnitte, Embryonen, Föten, Haut, Haare, Fingernägel, Fußnägel, Zähne, [...] Leichenbrand“ und bewusst in „(Ritual)Gegenstände[n]“ verwendete Überreste (Leitfaden Umgang mit Menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen, S.15) 

Die folgende Übersicht soll eine kurze Einführung in das Thema "Provenienzforschung" sein und dir die ersten, möglichen Schritte aufzeigen, falls du dich noch nie damit beschäftigt hast. Da es sich hierbei um ein Thema der Bioethik handelt, können und sollen die Definitionen, Reihenfolge der Schritte und die Ergebnisse ethisch diskutiert werden. 

Wo sind die Überreste?

Sind die Überreste in einer Sammlung versteckt oder werden sie in der Lehre/Forschung genutzt?

→ Falls die menschlichen Überrste in der Lehre genutzt werden, dann bis zu Klärung der Provenienz aus der Öffentlichkeit ziehen!

placeholder
Pfeil nach unten
placeholder

Aufbewahrung

Würdevolle, sichere Aufbewahrung möglich machen 

→ „Die Mitnahme und Lagerung menschlicher Überreste in Kisten, teilweise sogar in früheren Nahrungsmittel-Verpackungen, in Regalen und Depots, verursachte und verursacht bis heute Unverständnis und tiefgreifende psychische und spirituelle Verletzungen bei Angehörigen und Menschen weltweit, die die Verwendung ihrer Vorfahren als Forschungsmaterial ablehnen.“ (We want them back, S. 36)

placeholder
Pfeil nach unten
placeholder

Provenienzforschung

1)  Als erster Schritt ist es wichtig die Provenienz(forschung) als interdisziplinäres Projekt zu betrachten! Wo gibt es Schnittmengen zu anderen Wissenschaften?

2) Gibt es irgendwelche Zeugnisse (Archiveinträge, Register, Urkunden etc .) über den Erwerb/Eingang der menschlichen Überreste?

→ Merke: ohne aussagekräftige schriftliche Quellen (der sog. Paper Trail) lassen sich die Ergebnisse der anthropologischen Forschung nicht validieren!

3) Gibt es Berichte von ehemaligen Mitarbeitenden, die etwas über die Herkunft der Überreste sagen können?

4) Was sagen uns die Überreste?

  1. Markierungen auf den Überresten (Eingravierungen, Beschriftungen, Namen von Firmen, Namen von Forschenden, Datum des Eingangs/der Präparation etc.)
  2. Besonderheiten/Einzigartigkeiten an den Überresten
  3. Falls mehrere Überreste vorhanden sind, gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Überresten, die für eine gemeinsame Herkunft sprechen?
  4. DNA-Analyse

5) Kann ein Herkunftskontext der Überreste (z.B. medizinische Körperspende, Unrechtskontext, archäologische Grabung, kolonialer Kontext) vermutet werden?

Pfeil nach unten

Rehumanisierung

Ein Teil der Provenienzforschung ist der Prozess der Rehumanisierung. Die gesichtslosen, wissenschaftlichen Objekte der menschlichen Gebeine werden zu Subjekten, die gelebt haben und gestorben sind. Besonders im Kontext kolonialer oder durch Unrecht erworbener menschlicher Überreste spielt das eine große Rolle, da diese durch die kolonialen Machthaber vor und nach ihrem Tod entmenschlicht wurden ("We want them back"-Report). Rehumanisierung kann viele Aspekte beinhalten: den Überresten Namen zu geben, keine Bilder der Überreste abzubilden, von Kopf, anstelle von Schädel zu sprechen... in jedem Fall verändert es den Umgang, den wir mit menschlichen Überresten in Forschung und Lehre pflegen

Pfeil nach unten

Herkunft kann geklärt werden

Herkunft kann geklärt werden (z.B. im Fall einer Körperspende), im besten Fall so genau wie möglich

placeholder

Herkunft kann nicht geklärt werden

Herkunft kann nicht geklärt werden, die treffendste Beschreibung wäre "anonym, ohne Dokumentation"

placeholder
Pfeil nach unten
placeholder

Am Ende einer Provenienzforschung bleibt oft die Frage, was genau mit den menschlichen Überresten geschehen soll.

Das ist stark von den individuellen Kontexten abhängig (z.B. Unrechtskontext, archäologisch, medizinisch, unbekannt). 

Hinweis: die Kontexte können sich auch überlappen, bspw. menschliche Gebeine, welche vom Alter her als archäologisch gelten könnten, aber dennoch einen Unrechtskontext aufweisen.

Bestatten

Was eine Bestattung bedeutet oder wie sie gestaltet wird kann sehr individuell geprägt sein. Oft geht damit der Wunsch einher, den Überresten Respekt zu erweisen.

> Schulklasse bestattet ein Schulskelett

Repatriieren (Rückgabe menschlicher Überreste an eine Herkunftsgesellschaft)

Unter welchen Umständen sollten menschliche Überreste an jemanden zurück gegeben werden?

Besonders in kolonialen Kontexten wird diese Thematik viel diskutiert, wie der We want them back-Report aufzeigt.

in der Sammlung belassen

Ob die menschlichen Überreste in der Sammlung belassen werden kann, hängt davon ab, ob es einen besseren Ort geben könnte, wo die Überreste sein könnten (siehe Bestatten oder Repatriieren).

Eine Aufbewahrung in der Sammlung ohne eine Verwendung in der Forschung oder Lehre ist bei ethischen Bedenken möglich. 

Wenn die Überreste in der Sammlung bleiben, ermöglicht dies auf zukünftige Ergebnisse der Provenienzforschung zu reagieren und neue Diskussionen zu führen.

in der Lehre verwenden

Der moderne Konsens ist, dass die Menschen, die in der Lehre oder Forschung verwendet werden, dem zugestimmt haben. Je nach Kontext kann es unterschiedliche Ausprägungen dieser Zustimmung geben:

  1. in Unrechtskontexten erfolgte keinerlei Zustimmung
  2. in archäologischen Konten (z.B. bei menschlichen Überresten von vor 5000 Jahren) konnten die Menschen nicht wissen, dass sie ausgegraben und für Lehre und Forschung verwendet werden 
  3. im Fall einer Körperspende gibt es meistens eine Einwilligung zur Verwendung in der Lehre oder Forschung
  4. Es ist nichts über die Gebeine bekannt