7) Kann ich mithilfe menschlicher Überreste die Herkunft einer Person feststellen?
Diese Frage ist berechtigt, schließlich ist die Klärung der biogeografischen Herkunft ist eines der Ziele der Provenienzforschung (Leitfaden “Interdisziplinäre Provenienzforschung zu menschlichen Überresten aus kolonialen Kontexten”, S.12). Dabei ist allein der Begriff Herkunft schon ein diskussionswürdiges Thema. Als "biogeografisch" bezeichnet man die Region, aus der eine Person oder die Vorfahren der Person stammen (Leitfaden “Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlung", S.91). Im Englischen wird dafür allerdings eher der Begriff ancestry, also Abstammung benutzt. Damit wird auch ein familiärer Hintergrund eingeschlossen. Die Frage nach Herkunft eines Menschen ist also vielschichtig.
Für die Provenienzforschung, das Ausschließen oder Beweisen von Unrechtskontexten oder eine Repatriierung kann diese "biogeografische" Herkunft sehr entscheidend sein.Dabei ist immer zu beachten, dass die geografische Herkunft nicht eindeutige Rückschlüsse auf die ethnische Herkunft einer Person geben kann. Zudem kann die Überzeugung, Unterschiede zwischen Menschen anhand der Schädel oder Gebeine auszumachen, Hinweise auf wissenschaftlichen Rassismus liefern. Die meisten Erkenntnisse über Schädelformen lassen sich zudem kaum von dem Erbe rassistischer, kolonialer Experimente und Messungen trennen und sind mit hoher Wahrscheinlichkeit davon beeinflusst. Es bleibt die Frage, wie solide solche Ergebnisse überhaupt sind. Die meisten Erkenntnisse aus anthropologischen Messungen sind sehr vage und bieten, wenn überhaupt, eine eher grobe Orientierung.
In der Anthropologie wird vor allem kritisiert, dass die Ergebnisse der Datenbanken nur darauf basieren, was in ihnen eingespeist wurde und dadurch Gruppen, deren Daten nicht repräsentiert sind, auch mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit angezeigt werden. Beispielweise weist die bekannteste Datenbank FORDISC zahlreiche Mängel bei der Herkunftsbestimmung unbekannter menschlicher Gebeine auf und wird als eher ungeeignete Methode angesehen (M. Elliott and M. Collard, “Fordisc and the determination of ancestry from cranial measurements,” Biology Letters, 2009, S. 849–852).
Dennoch die Einschätzung der "biogeografischen" Herkunft einer Person anhand des Schädels akzeptiert, besonders auf die mittlere Schädelregion bezogen. Cunha und Ubelaker listen in ihrem Review jedoch auch auf, wie wichtig es ist, für die Bestimmung der Herkunft so viele Methoden wie möglich zu nutzen, um das Ergebnis zu verbessern. Bei der Verwendung von Datenbanken sollte angegeben werden, ob die Zielregion in der Datenbank überhaupt vertreten ist und wie vollständig die menschlichen Gebeine waren (E. Cunha, D. H. Ubelaker, Evaluation of Ancestry from Human Skeletal Remains: A Concise Review, Forensic Sciences Research,2020, S. 89–97)
Oft wird die Möglichkeit einer DNA-Analyse als geeignetere Methode angesehen, um die Herkunft oder sogar Identität einer unbekannten Person festzustellen. Allerdings werden auch dafür Datenbanken verwendet, die ähnliche Limitationen aufweisen, wie die anthropologischen Datenbanken. Mehr dazu findet ihr in dem Artikel über DNA-Analyse.