Chemiker*innen der Freien Universität stellen viruszerreißende Materialien her, die antivirale Möglichkeiten gegen das Coronavirus SARS-CoV-2 eröffnen
News vom 18.02.2021
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin haben eine innovative 2D-Nanoplattform entwickelt, mit der die Membranhülle von Coronavirus-Virionen zerstört werden kann. Die neuartige graphenbasierte Nanostruktur kann damit zur Bekämpfung verschiedener Varianten des Coronavirus eingesetzt werden. Der Forschungsgruppe gelang es, Viruspartikel zu zerstören, indem sie die Nanographen mit Polysulfat- und Alkylamingruppen kombinierten. „Die Studie zeigt, dass die Kombination dualer Funktionalitäten von Polysulfat- und Alkylamingruppen auf der kohlenstoffbasierten Nanoplattform eine effiziente Strategie darstellt, die Interaktionen zwischen Material und Virus zu kontrollieren und das Virus sogar zu zerstören“, erklärt Prof. Dr. Rainer Haag von der Freien Universität Berlin. Die Ergebnisse der Studie wurden in der Fachzeitschrift small publiziert. Erstautor ist der Postdoktorand Ievgen Donskyi.
Wie viele andere Viren besitzt auch das Coronavirus SARS-CoV-2 eine Lipidschicht, die Membranhülle, in der sogenannte Spikeproteine verankert sind. Das sind nach außen gerichtete Proteinstrukturen, mit denen sich eine Viruszelle an eine Wirtszelle binden kann. In der Studie zeigen die Forscherinnen und Forscher, dass es an der Grenzfläche zwischen den multifunktionalen Nanoplattformen und den Coronaviren zu elektrostatischen und hydrophoben Wechselwirkungen kommt. „Diese Wechselwirkungen spielen eine Schlüsselrolle“, sagt Rainer Haag.
Zuerst werden über die elektrostatischen Wechselwirkungen die Spikeproteine der Virionen an das Nanosystem gebunden. Anschließend führen die hydrophoben Wechselwirkungen zur Ruptur der Membranhülle. „Die Zerstörung der Membranhülle kann zu einer vollständigen und irreversiblen Inaktivierung des Virus führen, der sogenannten Viruzidalität“, sagt Rainer Haag. Durch die Interaktionsstrategien würden menschliche Zellen effektiv vor einer Coronavirus-Infektion geschützt. Die stärkste Ruptur von SARS-CoV-2 sei für Material mit elf Kohlenstoffatomen in der Alkylkette erreicht worden.
„Wir gehen davon aus, dass das Nanosystem auch auch gegen neuartige Virusmutationen wirksam ist“, sagt Rainer Haag. Bei den neuartigen Varianten von SARS-CoV-2 treten die Mutationen häufig am Spikeprotein auf. Das Angriffsziel der von den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern entwickelten Substanzen ist aber die Virusmembran, die auch bei Mutationen unverändert bleibt. „Wir planen, die Oberflächen verschiedener Materialien mit dieser Substanz zu beschichten, um das Anhaften des Virus zu verhindern“, erläutert Rainer Haag. Ein Patent auf diese Funktionalisierungsstrategie mit produzierten Materialien sei bereits angemeldet worden.
„Das Virus SARS-CoV-2 hat eine globale, nahezu beispielslose Pandemie ausgelöst und bisher mehr als zwei Millionen Menschen das Leben gekostet. Parallel zur Entwicklung und Zulassung zahlreicher Impfstoffe werden aktuell immer neue und teilweise infektiösere Virusmutationen entdeckt, die die Notwendigkeit einer Breitspektrum-Substanz verdeutlichen“, sagt Rainer Haag. Einer der entscheidenden Faktoren im Hinblick auf die Entwicklung innovativer antiviraler Vektoren gegen SARS-CoV-2 sei deshalb die starke interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Forschungsgebiete wie der Chemie, Virologie und Biophysik. Von Bedeutung seien auch Kooperationen zwischen Institutionen, etwa zwischen der Freien Universität Berlin und der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung.
Gefördert wurde das Projekt durch den Sonderforschungsbereich 765 „Multivalenzen“ der Freien Universität Berlin und das Pre-Exploration-Projekt zur SARS-CoV-2-Forschung der Berlin University Alliance.
Veröffentlichung
Ievgen S. Donskyi, Chuanxiong Nie, Kai Ludwig, Jakob Trimpert, Rameez Ahmed, Elisa Quaas, Katharina Achazi, Jörg Radnik, Mohsen Adeli, Rainer Haag, Klaus Osterrieder, Graphene Sheets with Defined Dual Functionalities for the Strong SARS-CoV-2 Interactions, small, doi 10.1002/smll.202007091
Kontakt
- Dr. Ievgen S. Donskyi, Institut für Chemie und Biochemie, Freie Universität Berlin, Telefon: 030 838-59563, E-Mail: ievgen.donskyi@fu-berlin.de
- Prof. Dr. Rainer Haag, Institut für Chemie und Biochemie, Freie Universität Berlin, Telefon: 030 838-52633, E-Mail: haag@chemie.fu-berlin.de