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Einige in der Zoologischen Lehrsammlung vorhandenen menschliche Überreste gaben aufgrund von Erosionserscheinungen und ihres vermuteten Alters Anlass, einen Unrechtskontext zu vermuten. Berliner Universitäten und Forschungseinrichtungen haben eine eng mit dem Nationalsozialismus und Kolonialismus verknüpfte Geschichte, weshalb derartige Hintergründe nicht ausgeschlossen werden konnten. Daher haben wir den Provenienzforscher und Anatomieprofessor Andreas Winkelmann eingeladen, die Zoologische Lehrsammlung zu begutachten. Er erkannte auf zwei menschlichen Überresten Markierungen bzw. Nummerierungen, die charakteristisch für die S-Sammlung sind. Durch weitere Nachforschungen konnte der Verdacht bestätigt werden.

Im Juli 2022 übergaben Dr. Alexander Lieven und Vanessa Hava Schulmann diese beiden menschlichen Überreste an das Museum für Vor- und Frühgeschichte.

Entscheidend ist die Archivarbeit, um dem „Papierweg“ zu folgen. Zudem können mit Mitteln der physischen Anthropologie anhand der menschlichen Überreste selbst wertvolle Hinweise aufgedeckt werden. In bestimmten Fällen kann es notwendig sein, invasive Methoden anzuwenden; dies ist jedoch im Rahmen unseres Provenienzforschungs­projektes nicht vorgesehen. Grund dafür ist, dass die potenziellen Erkenntnisse aus invasiven Methoden (bisher) nicht die Schäden an den menschlichen Überresten rechtfertigen würden. Zudem ist unklar, welche ethische entscheidende Instanz berechtigt wäre, invasive Methoden zu bewilligen und als notwendig einzustufen. Nicht nur Ethik-Komitees, sondern vor allem betroffene Interessengruppen (Stakeholders) sollten in zentraler Rolle an dieser Entscheidung mitwirken, sind jedoch in entsprechenden Gremien selten vertreten. In der Provenienzforschung werden daher daher bevorzugt nicht-invasive Methoden verwendet, die – im Gegensatz zu invasiver DNA-Entnahme und Isotopenanalyse – keinen Schaden an den menschlichen Überresten erzeugen.

Diese werden wohl weiterhin in der Zoologischen Lehrsammlung aufbewahrt werden. Einige Meinungen raten zu einer Bestattung, aber da dies zukünftige Provenienzforschung erschweren würde, ist dies bisher keine Option. Jeder vernichtete Knochen ist eine Chance weniger, Überreste eines vermissten Ahnen zu finden. Sofern Unrechtskontexte vorliegen, entspricht eine Bestattung nicht unbedingt den Interessen betroffener Gruppen. Im Falle einer Bestattung würde sich außerdem die Frage stellen, welche Art der Bestattung angemessen wäre. Solche Fragen sollten auch gemeinsam am Institut für Biologie zwischen der Studierendenschaft und den Beschäftigten diskutiert werden.

Der Beweislage wird so lange gefolgt, bis ein Unrechtskontext bestätigt werden kann. Denn so könnten auch potenzielle Interessengruppen (Stakeholders) gefunden werden, die ein Interesse daran haben könnten zu entscheiden, wie weiter verfahren werden soll.

Wenn bewiesen werden kann, dass eine medizinische Körperspende mit informierter Einwilligung erfolgt ist, so bestehen prinzipiell keine ethischen Bedenken, die menschlichen Überreste in der Lehre zu verwenden.

Eine Mischung aus Archivarbeit, nicht-invasiver Untersuchung – also rein äußerlicher Betrachtung und Charakterisierung – der menschlichen Überreste und Einholen von Meinungen externer Expert*innen.

Wir prüfen die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung im Rahmen eines Forschungsprojektes zu beantragen. Außerdem ist geplant, mit den Studierenden und Mitarbeiter*innen der Biologie, unter anderem im Rahmen der Studiengangsentwicklung, herauszuarbeiten, wie mit den menschlichen Überresten umgegangen werden soll, was sie sich für die Lehre wünschen und ob mehr kritischer Diskurs zu solchen Themen stattfinden soll.

Bereits vor Beginn des Provenienzforschungsprojektes wurden diese Themen in der Lehre angesprochen. Anne Hartleib thematisierte als Tutorin in jedem der von ihr betreuten Kurse der Humanbiologie den Umgang mit menschlichen Überresten. Dr. Vladimir Bajić thematisierte im Rahmen des Moduls Humanevolution wissenschaftlichen Rassismus, der nicht von Kolonialismus, Eugenik und deren Konsequenzen für die heutige Forschung zu trennen ist. Wissenschaftlicher Rassismus ist ebenfalls Thema im Seminar „Fachwissenschaftliche Vertiefung Biologie (Evolution)“ für Lehramtsstudierende im Masterstudiengang.

Derzeit wird in jedem Kurs, in dem die Verwendung von menschlichen Überresten naheliegend gewesen wäre – beispielsweise in der Humanbiologielehre zum Thema Knochen – darüber gesprochen, warum die menschlichen Überreste nicht verwendet werden. Vanessa Hava Schulmann steht als Ansprechperson und Gastsprecherin für Diskussionsrunden in Kursen zur Verfügung. Solche interaktiven Seminare zu menschlichen Überresten in Lehre und Forschung wurden bereits für Studierende im Master und Lehramtsstudierende im Bachelor angeboten.

Vanessa Hava Schulmann führt die Provenienzforschung durch. Dr. Vladimir Bajić gab den Anstoß und betreut die Forschung. Prof. Katja Nowick, Dr. Vladimir Jovanović, Dr. Alexander Lieven und Anne Hartleib begleiten die Aktivitäten.

Ansprechperson für Fragen zum Provenienzforschungsprojekt ist Vanessa Hava Schulmann, da sie die Recherchen und die Projektorganisation übernommen hat. Antworten spricht sie mit dem Team ab. Generelle Aussagen und Meinungen des Lehrpersonals formuliert das Team gemeinsam. Bei Fragen, die das gesamte Institut für Biologie betreffen, werden weitere Personen, etwa die geschäftsführende Direktorin des Instituts bzw. ihre Stellvertretung, einbezogen.

Der Präsident der Freien Universität Berlin, Prof. Dr. Günter M. Ziegler, ist über das Projekt informiert. Die Geschäftsführung des Instituts für Biologie unterstützt das Projekt. Die Stabsstelle Kommunikation und Marketing der Freien Universität Berlin unterstützt die Kommunikation für das Projekt. Dr. Stefanie Klamm, Koordinatorin der Universitätssammlungen bei der Universitätsbibliothek der Freien Universität, berät uns bezüglich finanzieller Unterstützung und zukünftiger Projektausrichtung. Die Studierendenschaft ist vertreten durch die studentischen Vertreter*innen des Institutsrats Biologie und Vanessa Hava Schulmann.

Prof. Andreas Winkelmann stand dem Projektteam als externer wissenschaftlicher Berater zur Verfügung, ebenso wie Expert*innen für physische Anthropologie.

Es besteht auch Kontakt zu Isabelle Reimann und Mnyaka Sururu Mboro, die im Auftrag von Decolonize Berlin e.V. einen Report über menschliche Gebeine aus kolonialen Kontexten in wissenschaftlichen Sammlungen Berlins verfasst haben (siehe: „We want them back“; Februar 2022). Die Zoologische Lehrsammlung wurde im Frühjahr 2021 für den Report begutachtet. Zudem lud Decolonize Berlin e.V. Vanessa Hava Schulmann zu einem Fachtag ein, der eine thematische Weiterbildung und Vernetzung mit Vertreter*innen relevanter Institute ermöglichte.