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Wissenschaftlichen Rassismus im 18. Jahrhundert: Carl von Linné und Immanuel Kant

Carl von Linné:

Die Einteilung und Benennung der uns bekannten Tier- und Pflanzenwelt geht maßgeblich von einer Person aus: Linné. 1735 veröffentlichte er die erste Ausgabe seiner Systema Naturae, ein umfassendes Werk, in der er bis dato entdeckte Tier- und Pflanzenarten in eine neues taxonomisches System brachte und jedem Lebewesen einen Art- und einen Genusnamen zuordnete (2,3).

Linné lebte von 1707 bis 1178 in Schweden und war bereits als Kind sehr interessiert an seiner Umwelt und Pflanzen (2). 1741 wurde er Professor für Botanik an der Uppsala Universität und benannte in seiner Karriere 12.000 Tier- und Pflanzenarten (2). In seine Welt aus Ordnung und neuen Namen musste nun auch ein ganz besonderes Tier passen: der Mensch. Bereits in der ersten Ausgabe der Systema Naturae verortete Linné Menschen in der Klasse der Quadropeden (Vierfüßer), was zu dieser Zeit eine durchaus riskante öffentliche Meinung war, da der Mensch für die Kirche und auch für einige Wissenschaftler kein Tier sein konnte (3). 1740 tauchten in der Systema naturae das erste Mail vier “Varianten” der Menschen auf: “Europaeus albus”, “Americanus rubescens”, “Asiaticus fuscus”, “Africanus niger” (in der ersten Erwähnung auch in dieser Reihenfolge). Anfangs schien Linné die Einteilung aufgrund klimatischer und geographisch unterschiedlicher Lebensbedingungen vorzunehmen (3).

Dies änderte sich jedoch bereits 1750, denn Linné fügte den “Varianten” physische und moralische Eigenschaften hinzu und nutzte die Hautfarbe als festes Merkmal der Zuordnung der Menschen (4). Zudem begann Linné seine “Varianten” hierarchisch zu ordnen, wobei die Menschen aus Afrika immer auf dem untersten Platz blieben (3,4). Linné konstruierte ab 1758 weitere Unterschiede zwischen den “Varianten”, indem er sich 5 Kategorien ausdachte, nach denen er die “Varianten” noch detaillierter zuordnen konnte: Hautfarbe, medizinisches Temperament (nach den vier mittelalterlichen Körpersäften gelbe und schwarze Galle, Blut, Schleim) und Körperhaltung; Haarfarbe und -form, Augenfarbe und Gesichtszüge; Benehmen; Kleidung; Regierungsform (3).

Diese nun doch sehr spezifischen Beschreibungen basierten ausschließlich auf  Vorurteilen und Stereotypen und wenn eine Einteilung der Menschen entlang unterschiedlichen Klimazonen noch etwas verständlich erscheint, so zeigen die 5 Kategorien deutlich, dass Linné kaum subjektiv naturwissenschaftlich handelte. 

Auch wenn es die Ansicht gibt, dass Linné noch nicht von “Rassen” per se sprach und damit eventuell nicht der Auffassung war, dass die Menschen sich auf dieser Artebene unterschieden (3,6), so zeigen sich in seinen “Varianten” deutlich rassistische Züge, die zudem das unterschiedliche Aussehen und die Lebensweisen von Menschen aus einer eurozentristischen Sicht kategorisieren. Trotzdem kann nicht nur Linné für die Entstehung rassistischer Konzepte benannt werden. Ursprünge lassen sich bereits in der Antike, beispielsweise bei Plato und im Mittelalter finden (7).

Im Grunde genommen gab es in jedem Zeitalter Akteure, die rassistische Ideen verbreiteten und mit Argumenten untermauern: Der französische Arzt François Bernier (1625-1688) veröffentlichte 1684 sein Wert „Nouvelle division de la terre“ - “Die neue Aufteilung der Erde” und hatte somit knapp 100 Jahre vor Linné die Idee, Menschen in 4 verschiedene “Rassen” aufzuteilen (8). Nach langen Reisen durch den Nahen Osten und Indien folgte er dabei einem anderen Kriterien als Linné, aber dennoch nutzte er vor allem physische Merkmale zur Unterscheidung der Menschen, was bis dahin noch nicht vorgekommen war und sich von einer rein kulturellen oder biblischen Erklärung unterschied (8). Wichtig ist es zu erkennen, dass rassistische Stereotype kein rein modernes Gedankengut sind, sondern es der oft verklärende Blick größtenteils weißer Wissenschaftler*innen auf das europäische Mittelalter und die frühe Neuzeit ist, der es so wirken lässt, als hätte Rassismus in der Vergangenheit noch nicht existieren können (vgl. 7, S. 359-361). Dennoch hat speziell Linné mit seinen Ansichten den Nährboden für das geschaffen, was in den folgenden Jahrhunderten als eine “wissenschaftliche” Argumentation für Rassismus aufgegriffen wird.

Immanuel Kant:

Immanuel Kant dürfte den meisten als wichtiger Denker der Aufklärung in den Kopf kommen. Die Aufklärung ist ein schwer zu umfassender Begriff, der von einer historischen Epoche über philosophische Denkrichtung bis hin zu einer gesellschaftlich-kulturellen Strömung reicht (9). Die Epoche ging vom Ende des 17. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und zeichnete sich durch viele technische und wissenschaftliche Neuerungen aus und die Idee von Philosophen und Forschern die eigene Vernunft und das eigene Denken in den Mittelpunkt der Handlungen zu stellen und sich durch selbst erlangte Mündigkeit gegen Autoritäten zu stellen (9, 10). Besonders Kant prägte durch seine Schriften diesen ideologischen Kern der Aufklärung und wir alle kennen den berühmten Satz “Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!” oder den kategorischen Imperativ, in dem Kant den ethischen Grundsatz aufstellt, dass die eigene Handlung als allgemeiner Grundsatz gelten sollte - Leitsätze, die unser gesellschaftliches Miteinander bis heute, 300 Jahre später, prägen (10).

All diese Ideen könnten eigentlich als Grundlage für eine freie und gerechte Welt gesehen werden. Kant selbst gilt als einer der Begründer des Universalismus und wichtiger Vertreter für Weltoffenheit und Humanismus. Doch ähnlich wie Linné oder später Ernst Haeckel war auch Kant weit davon entfernt wirklich alle Menschen in sein aufgeklärtes Weltbild aufzunehmen. Auf Frauen, Jüdinnen und Juden und insbesondere auf POC´s wendete er seine eigene Moral nicht an. Kant war überzeugt von der Überlegenheit der Weißen und Sklaverei und reagierte auch auf Kritik an seinen Theorien uneinsichtig (11, S. 148-149).

1175 veröffentlichte er ein Werk, in dem eine rassistische Einteilung von Menschen anhand geographischer Zonen vollzog, ähnlich wie Linné (4, S.12). Dabei hatte Kant als Grundlage für diese Ideen nur Reiseberichte zur Verfügung aus denen er sich die Beschreibungen heraus pickte, die in sein vorgefertigtes Bild passten, während er positivere Beschreibungen schwarzer Menschen ignorierte (11, S.148). Wieder zeigt sich, dass das Argument des Zeitgeistes à la “so haben die Leute nun mal damals gedacht” sich nicht auf Kant übertragen lässt. Er wusste um die Debatte um Sklaverei und beschäftigte sich intensiv mit der Freiheit und Brüderlichkeit unter den Menschen - und entschied sich trotzdem nichts dagegen zu sagen, sondern die Ideen eher zu untermauern (11). Besonders erschreckend sind auch Kants explizite Gedanken gegenüber dem “Mischen” von Menschen, die nach seinem Konzept verschiedenen “Rassen” angehören, da er behauptete, dass dies die “Rasse” der “Weißen” schwächen würde und gegen die Natur sei (11, S. 155-156). Diese Argumente waren nicht nur eugenisch, sondern auch der Kern von einem "Rassekonzept", das Kant vertrat (11). Damit ging er auch eine radikalere Denkrichtung als beispielsweise Linné oder François Bernier ein und versuchte, seinen Rassismus mit weiteren wissenschaftlichen Argumenten zu untermauern und stellte es so dar, als wären das Vorhandensein von “Rassen” eine natürliche Tatsache.

Die Frage, die sich wieder stellt, ist die nach dem Umgang mit einem einerseits so wichtigen Denker, der andererseits so schreckliche und menschenfeindliche Ideen vertrat. Sollten wir Kants ethische Erkenntnisse weiter reproduzieren? Oder sollten wir uns davon abwenden und Wissenschaftlern und Philosophen zuwenden, die auch in der Aufklärung gegen den Rassismus argumentieren? In jedem Fall ist es wichtig bei Kants Ideen immer im Hinterkopf zu haben, wen er adressierte und wen er bewusst ausschloss.