1) Ernst Haeckel - war der "deutsche Darwin" ein Rassist?
"Stammbaum" von Haeckel
Bildquelle: "Stammbaum" von Haeckel
Bildquelle: "Stammbaum" von Haeckel aus `Natürliche Schöpfungsgeschichte´, 1889, hier aus Levit and Hossfeld, 2020, S. 7
Ernst Haeckel ist ein Name, der den meisten Menschen in Deutschland bekannt sein dürfte, schließlich gibt es genug nach ihm benannte Straßen, Schulen und Plätze. Und Kalender mit den hübschen Zeichnungen, die er für verschiedenste Arten anfertigte. Wenn du einen solchen Kalender oder einen Kunstdruck geschenkt bekommt, dann freust du dich im ersten Moment vielleicht darüber, denn die Zeichnungen machen was her und vielleicht dachte sich die schenkende Person nicht viel mehr als “Ach, du studierst doch Bio, hier, das passt dazu!”. Als dann mal deine Botanik-begeisterten Freunde bei dir zu Hause vorbeikommen, schauen einige mit bewundernd und andere entgeistert auf den Kalender - "Oh, sind das nicht diese Haeckel-Bilder?”
Ernst Haeckel (16.02.1834-09.08.1919), gilt als eine Art deutscher Darwin und nahm entscheidenden Einfluss auf die Verbreitung der Evolutionstheorie im 19. Jahrhundert (Kutschera, Levit, Hossfeld, 2019). Er studierte in Berlin, Würzburg und Wien Medizin. 1857 machte er seinen Doktortitel und praktizierte kurzzeitig, fühlte sich als Arzt jedoch nicht wohl (ebd.). 1861 wurde er nach seiner Arbeit an Radiolaria (Strahlentierchen) Privatdozent in Jena und bekam 1862 eine vollständige Professur. 1865 folgte der Doktortitel in der Zoologie und ein Lehrstuhl in Jena. Ein Jahr später veröffentlichte er sein wohl wichtigstes Werk - die Generelle Morphologie, in welchem er beschrieb, dass alle Lebensformen von Bakterien abstammten und prägte wichtige biologische Begriffe wie Ökologie (ebd.) Soweit so gut - Haeckels Forschung und seine Bewunderung für Darwins Theorien waren wichtige wissenschaftliche Meilensteine und so findet man bei einer oberflächlichen Internetrecherche meist nur gute und warme Worte für einen der bekanntesten deutschen Biologen. Doch Haeckel hatte eine grundlegende Überzeugung, die ihn in ein anderes Licht rückt: Für ihn war es logisch, dass es neben Tier- und Pflanzenarten auch verschiedene menschliche “Rassen” auf der Welt gäbe, die sich in unterschiedlichen evolutionären Stadien befänden (Porges et. al, 2023, S.26). Haeckel glaubte daran, dass bestimmte Eigenschaften und die Position der Menschen in der Welt genetisch festgelegt waren (ebd. und Levit and Hossfeld, 2020, S.4). So spielte beispielsweise die Struktur der Haare eine wichtige Rolle für Haeckel bei der Einteilung der Menschen in 12 Gruppen, die hierarchisch angeordnet wurden (Stammbaum von Haeckel aus Natürliche Schöpfungsgeschichte, 1889, hier aus Levit and Hossfeld, 2020, S. 7).Diese Ideen waren (und sind) im wahrsten Sinne des Wortes rassistisch und auch nach Reisen in die Regionen der Erde, in denen laut Haeckel die “niedrigsten Menschenrassen” lebten, konnten seine Meinung nicht ändern (ebd, S.10)
Oft wird in so einem Fall damit argumentiert, dass es nun mal die Gesellschaft war, in der Haeckel lebte und diese Überzeugungen weit verbreitet und für damalige Verhältnisse populär waren. Zu einem gewissen Grad stimmt das. Haeckel, Darwin, Virchow und andere sind in ihren Forschungen auch Repräsentanten ihrer jeweiligen Zeit und gesellschaftlichen Ordnung. Dennoch sollte dieser Fakt nicht als Freifahrtschein zur Verbreitung rassistischer Theorien gesehen werden, zumal es Zeitgenossen von Haeckel gab, die nicht mit ihm übereinstimmten und seine Vermutungen sogar wissenschaftlich widerlegten: sein Schüler und späterer Mitarbeiter Nikolai Miklucho-Maclay (17.07.1846 - 14.04.1888) versuchte Haeckels Methoden in der Praxis anzuwenden und erforschte lange die Bevölkerungsgruppe der Papua, die indigenen Einwohner Neuguinea, welche für Haeckel die “niedrigste” menschliche “Rasse” war (siehe “Stammbaum”). Levit und Hossfeld legen in ihrem Paper dar, wie Maclay tatsächlich versuchte, den anthropologischen Lehren seines Mentors zu folgen und dabei die rassistischen und stereotypen Ideen widerlegte. Teil reichten ein paar Beobachtungen, um die sogenannten wissenschaftlichen Theorien zu demaskieren. Maclay bewies schnell, dass es keine erblich bedingten körperlichen oder intellektuellen Unterschiede zwischen Menschen gab und entkräftete die “Rassenkonzepte” (Levit and Hossfeld, 2020, S. 13-18). Leider ist er nicht annähernd so bekannt wie Ernst Haeckel, doch seine Geschichte zeigt, dass es durchaus möglich war, anders zu denken und nicht automatisch rassistischen Denkansätzen zu verfallen. Was bleibt, ist die unbequeme Erkenntnis, dass auch Haeckel anders hätte denken können, wenn er es denn gewollt hätte. Er war nicht bloß eine Spielfigur in den gesellschaftlichen Überzeugungen des langen 19. Jahrhunderts, sondern wahrscheinlich ein überzeugter Rassist.
Was also tun, mit dem Kalender, den du in netter Absicht geschenkt bekommen hast? Abhängen und irgendwo weit weg verstauen wäre eine Idee, aber davon verschwinden Haeckels Überzeugungen und die anderer Rassisten leider auch nicht. Zudem könnte man argumentieren, dass Haeckels rassistische Ansichten ja nicht seine schönen botanischen Illustrationen weniger wissenschaftlich wertvoll machen. In jedem Fall könnte man den Kalender als Anlass nutzen, Gäst*innen und Freund*innen aufzuklären, um somit schillernde Persönlichkeiten wie Haeckel zu dekonstruieren und ihr wissenschaftliches Erbe nuancierter einzuordnen.
Literatur:
Fischer, S. Martin, Hoßfeld, Uwe, Krause, Johannes, Richter, Stefan: Jena, Haeckel und die Frage nach den Menschenrassen oder der Rassismus macht Rassen, Mitteilungen der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, 2020, S. 7-32
Kutschera, Ulrich, Levit, Georgy S., Hossfeld, Uwe: Ernst Haeckel (1834–1919): The German Darwin and his impact on modern biology, Theory in Biosciences, 2019, https://doi.org/10.1007/s12064-019-00276-4
Levit, Georgy S., Hossfeld, Uwe: Ernst Haeckel, Nikolai Miklucho-Maclay and
the racial controversy over the Papuans, Frontiers in Zoology, 2020,
https://doi.org/10.1186/s12983-020-00358-w
Porges, Karl, Heijnol, Andreas, Vogel, Chelsea, Porges, Carla, Opitz, Klara, Hoßfeld, Uwe: Biologiegeschichte trifft Biologieunterricht. Beispiele für interdisziplinäre rassismuskritische Bildungsarbeit, Annals of the History and Philosophy of Biology, 2023, S. 23-42, https://doi.org/10.17875/gup2023-2483