Szenario #2 - "Herkunft" anhand von DNA abschätzen
Was aber, wenn nach sorgfältiger Analyse der Dokumente über die menschlichen Überreste und einer anthropologischen Analyse noch entscheidende Hinweise zur Klärung der Herkunft fehlen? Eine der ersten und wichtigsten Fragen ist dabei, wie Herkunft definiert werden soll. Wenn wir von einer genetischen Herkunft ausgehen, so erwarten wir eine gewisse geografische Region, die sich eindeutig in den Genen der Person widerspiegelt. Abgesehen davon, dass mit der Herkunftsregion weitere Informationen, wie Religion oder ethnische Zugehörigkeit nur assoziiert werden können, muss auch bedacht werden, dass ein DNA-Test sehr variable Ergebnisse über Herkunftsregionen liefern kann. Das liegt beispielsweise an der Rekombination von Chromosomen in den Gameten, wodurch jeder Mensch, auch Verwandte, über einen einzigartigen Chromosomensatz verfügen. Je weiter in die Vergangenheit geschaut wird, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass diese Vorfahren einer Person in ihrem Genom exprimiert sind. Wenn ein DNA-Test also bestimmte Herkunftsregionen angibt, dann kann es auch ein statistischer Zufall sein, dass genau diese DNA durch Rekombination vererbt wurde. Außerdem zeigt der Test keine verwandtschaftlichen Verhältnisse an, sondern die genetische Ähnlichkeit zu heute lebenden Menschen.
In diesem Video wird die Problematik ausführlicher erklärt: https://www.youtube.com/watch?v=YiydsMxOdM8
Kann eine DNA-Analyse also überhaupt weiterhelfen?
Teilweise ja, zumindest wenn die Dokumente oder Archivmaterialien bspw. Narrative zweier unterschiedlicher Herkunftsregionen angeben. In diesem Fall könnte die entnommene DNA in eine Datenbank eingespeist und dort mit gespeicherten DNA-Proben verglichen werden, um die Zugehörigkeit zu einer Region zu klären. Hierbei sind jedoch weitere Limitationen zu beachten: die Probe kann nur mit dem verglichen werden, was auch in der Datenbank gespeichert ist. So wird die Analyse einer Person "nicht-europäischer" Herkunft im Vergleich mit einer Datenbank mit ausschließlich "europäischen" Samples keine sehr gute Auflösung in den Ergebnissen erzielen. Leider sind die Datenbanken hauptsächlich durch Proben aus dem globalen Norden geprägt, was den Vergleich mit Proben aus dem globalen Süden sehr einschränkt. Ausgerechnet diese Regionen sind aufgrund kolonialer und Unrechtskontexte allerdings häufig relevant für die Provenienzforschung. Zudem gibt es aufgrund der vergangenen oder aktuellen Unrechtskontexte oft ein Misstrauen der betroffenen Gruppen gegenüber Forschenden aus dem globalen Norden, welche möglichst diverse Datenbanken aufbauen wollen - auch weil es teilweise eine Motivation gibt “exotische” DNA zu sammeln.
Zurück zu den menschlichen Überresten deren Herkunft ich klären möchte: Wenn ich herausfinden möchte, ob diese aus Nordeuropa oder Südostasien stammen, dann ist dies eventuell über eine DNA-Analyse möglich. Es bleibt also eher bei einer sehr groben geografischen Einschätzung, was in manchen Fällen hilfreich sein kann. Wie dieses Beispiel, in dem durch eine DNA-basierte Herkunftsanalyse de zuerst angenommen Hypothese verworfen und die menschlichen Gebeine anders bestattet werden konnten:
https://genomebiology.biomedcentral.com/articles/10.1186/s13059-021-02420-0