2) Amalie Dietrich - eine bedeutende Sammlerin oder ein Todesengel?
“Angel of Black Death" - dass sich hinter diesem Titel die Botanikerin und Naturforscherin Amalie Dietrich verbirgt, wirkt zuerst vielleicht überraschend. Dr. Katja Reichel erzählte, dass Dietrich in Kolonialgebieten nicht nur zahlreiche Pflanzenarten sammelte, sondern sogar menschliche Gebeine. Diese ließ sie nach Europa verschiffen.
Im 19. Jahrhundert wirkte Amalie Dietrich (26.05.1821 - 09.03.1891) als bedeutende Botanikerin und Sammlerin und erreichte besonderen Einfluss durch ihren zehnjährigen Aufenthalt in Australien, in dem sie die größte botanische und zoologische Sammlung erstellte, die von einer einzelnen Person ausging. Dietrich beschäftigte sich schon seit ihrer Kindheit mit Pflanzen und arbeitete lange als Herstellerin von Herbarien, ehe sie 1863 für den Händler Johann Cesar VI Godeffroy nach Australien reiste und in seinem Auftrag tausende Exponate sammelte und nach Europa zurück schickte, wodurch neue Arten entdeckt und bekannte Arten weiter untersucht werden konnten. Als Frau musste sich Dietrich dabei immer wieder gegen ihre männlichen Kontrahenten durchsetzen oder die Versorgung ihrer Tochter allein sicherstellen (Scheps, 2000).
Aber Dietrich schickte nicht nur Tiere und Pflanzen zurück nach Europa, sondern “sammelte” auf Wunsch ihres Auftraggebers auch menschliche Überreste (acht Skelette und zwei Köpfe), sowie zahlreiche Gegenstände der indigenen Aborigines in Queensland, wo sie während ihres Aufenthalts hauptsächlich arbeitete (Affeldt, Hund, 2020). Der Auftrag reihte sich in eine für die Zeit des 19. Jahrhunderts typische imperialistische Faszination für die Körper indigener Menschen ein, die in Europa eingehend untersucht wurden, auch weil die Wissenschaft der Auffassung war, an ihnen vermutete evolutionäre Stadien der Menschen zu entdecken (Turnbull, 2020). So hatten berühmte Forscher wie Rudolf Virchow ein großes Interesse an den von Dietrich mitgebrachten Skeletten, wodurch diese für Dietrichs Auftraggeber eine wichtige finanzielle Ressource darstellten (Affeldt, Hund, 2020).
Die Besiedlung von Queensland begann in den 1850er und 1860er Jahren und spitzte sich innerhalb kurzer Zeit zu, sodass die indigene Bevölkerung gegen Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts jeglichen Anspruch auf ihr Land verloren, zur Zwangsarbeit gezwungen wurden und ihre Kultur und Sprache systematisch unterdrückt wurde (Turnbull, 2020). Es ist anzunehmen, dass Dietrich, so wie sie zuvor in Deutschland und angrenzenden Ländern Herbarien anlegte und lange Sammlungsreisen unternahm, sich in Australien selbstverständlich frei bewegte und das mitnahm, was ihr interessant erschien. Auch das exzessive Sammeln von mehr als 20.000 botanischen Belegen (Scheps, 2000) ist durchaus kritisch zu betrachten. Dietrich wandte ein westliches Klassifizierungssystem auf eine unbekannte Fauna und negierte so vorhandenes indigenes Wissen.
In Deutschland wurde Amalie Dietrichs Geschichte größtenteils positiv konnotiert, vor allem als Frau und alleinerziehende Mutter, die sich durchsetzte und ihren Platz in einer männlich dominierten Branche erkämpfte - ein Teil ihrer Biografie, der durchaus außergewöhnlich ist. Erst ab den 1990er Jahren wurde Dietrich durch mediale Berichterstattung der Beiname “Angel of Black Death” gegeben und ihre Handlungen in einem kritischen Licht betrachtet (Affeldt, Hund, 2020). Dies bezog sich vor allem auf einen Bericht über Dietrichs Anweisung, Aborigines umbringen zu lassen, um sie als Forschungsobjekte zu benutzen. Hierbei ist allerdings unklar, ob die Geschichte wirklich wahr ist oder es sich um eine misogyne Erzählung handelt (ebd. und Turnbull, 2020).
Amalie Dietrichs Biografie und der Umgang damit ist komplex. Ihre Errungenschaften waren für die Biologie des 19. Jahrhunderts von großem Wert - dennoch profitierte sie immens von einem imperialistischen und rassistischen System, in dem weiße Forschende und Siedler Vorteile aus der Unterdrückung der indigenen Bevölkerung schlugen.
Literatur:
Affeldt, Stefanie und Hund, Wulf D.:‘From ‘Plant Hunter’ to ‘Tomb Raider’. The Changing Image of Amalie Dietrich’, Australian Studies Journal / Zeitschrift für Australienstudien, 33-34, 2019-2020, S. 89-124, DOI: 10.35515/zfa/asj.3334/201920.06
Scheps, Birgit: Amalie Dietrich, Leben und Werk (1821 -1891), Blätter Naumann-Museum 19, 2000, S. 59-77 (https://www.zobodat.at/biografien/Dietrich_Amalie_Blaetter-Naumann-Museum_19_0059-0077.pdf)
Turnbull, Paul: Amalie Dietrich and Collecting the Indigenous Dead in Colonial Queensland, Australian Studies Journal / Zeitschrift für Australienstudien, 33-34, 2019-2020, DOI: 10.35515/zfa/asj.3334/201920.15