Springe direkt zu Inhalt

4) Populationsgenetik und Rassismus

Die Anfänge des wissenschaftlichen Rassismus stützten sich besonders auf äußere Merkmale (Hautfarbe, Augenfarbe, Haartextur, etc.) und auch kulturelle Unterschiede, welche frühen Anthropolog*innen der westlichen Welt als relevant für eine Kategorisierung und Hierarchisierung des Menschen vorkamen. Diese Einteilungen sind nicht zu trennen von bereits existierenden diskriminierenden Vorurteilen, welche die damalige Gesellschaft und Politik prägten. Für mehr Informationen zum wissenschaftlichen Rassismus gibt es hier einen Artikel

Heutzutage wird oft die Genetik herangezogen, um wissenschaftlichem Rassismus zu widersprechen. Menschen sind größtenteils genetisch identisch, und nur ein sehr kleiner Anteil ist variabel [8]. Zudem ist die genetische Vielfalt des Menschen deutlich geringer als die manch anderer Spezies wie z.B. dem eurasischen Grauwolf (vgl. Abbildung 1) [9]. Warum sollten dann ausgerechnet beim Menschen Subspezies definiert werden?

Abbildung 1: Dieses Diagramm zeigt vergleichend die Fst-Werte verschiedener Spezies. Der Fst-Wert ist vereinfacht gesagt ein Maß für die genetische Variabilität innerhalb einer Gruppe. Für nähere Informationen, schau gern die Originalpublikation an [9]. 


Dennoch wird manchmal argumentiert, dass es ja trotzdem genetische Unterschiede zwischen Menschen gibt, welche mit Herkunftszuschreibungen zu tun haben. Zum Beispiel postuliert continental ancestry dass die Einteilung menschlicher genetischer Vielfalt nach Kontinenten aussagekräftig und nennenswert ist für die Forschung [10]. Tatsächlich ist die menschliche genetische Vielfalt auch teils geografisch strukturiert, was mit der Migrationsgeschichte des Menschen zusammenhängt, wonach der moderne Konsens ist, dass die Menschheit in Afrika entstand und von dort aus den Rest der Welt bevölkerte [11]. Wenn also stichprobenartig Menschen der verschiedenen Kontinente untersucht werden (vgl. bunte Punkte in der Abbildung 2), so könnte es auch statistisch nennenswerte Unterschiede zu sehen geben. Aber sobald die gesamte menschliche Vielfalt aufgezeigt wird (vgl. graue Punkte in der Abbildung 2), zeigt sich ein Gradient. Ganz banal möchte hier auch genannt sein, dass die Einteilung nach Kontinenten auch nicht umstritten ist. Was gehört zu Europa dazu? Wo genau fängt der “Mittlere bzw. Nahe Osten” an, und gehört dieser nicht sowohl zu Asien als auch zu Afrika, je nach Land? 

Abbildung 2: Dieser sogenannte “PCA plot” ist eine visuelle Methode, um die Variabilität von Daten darzustellen. Ganz vereinfacht gesagt sind die Punkte die entlang der PC1-Achse am weitesten voneinander entfernt sind auch “Datentechnisch” am unterschiedlichsten. Dies gilt auch für die PC2-Achse. Für eine genauere Erklärung, schau gerne in die Orgiginalpublikation [10]. Die bunten Punkte heben Cluster hervor, welche nach der Definition von continental ancestry gezeigt werden würden. Demnach würde man entlang der PC1-Achse deuten wollen, dass das Cluster “Africa” besonders anders ist im Vergleich zum Cluster “Europe”, und das Cluster “Middle East” irgendwo dazwischen liegt. Geografisch gesehen scheint es plausibel. Die Grafik zeigt aber auch in den grauen Punkten ein diverses Datenset, wo der Gradient der menschlichen genetischen Vielfalt gut deutlich wird. Wenn also die gesamte menschliche Vielfalt betrachtet wird, so bestehen keine kategorischen Unterschiede zwischen den Clustern sondern Gradienten.


Deswegen wird oft die Gefahr betont, dass problematische “Rassekonzepte” durch das Hintertürchen wieder in die Forschung und in das gesellschaftliche Wissenschaftsverständnis eingebracht werden könnten [10]. Die Populationsgenetik definiert Populationen vorab, um diese zu untersuchen und vergleichen - dies oft eben sehr stichprobenartig mit gewissen Vorannahmen, welche Menschen “Populationen” darstellen. Besonders verschärft sieht man das bei dem Konzept von genetischen Isolaten, wo angenommen wird, dass diese Menschengruppen besonders abgesondert von ihrem Umfeld lebten, sich mutmaßlich vor allem “untereinander” miteinander fortpflanzten, und somit heutzutage genetisch besonders distinkt sind [12]. Das wird häufig Romn*ja und Sinti*zze [13] und jüdischen Menschen zugeschrieben [12], wobei die Erfindung des Konzepts “genetisches Isolat” ebenso mit dem Werdegang des wissenschaftlichen Rassismus zusammenhängt und kritisch betrachtet werden muss [12]. 

Auch continental ancestry wird häufig mit heutzutage genutzten Konzepten von “race” (z.B. in den USA) verwoben oder gleichgesetzt, was somit das soziale Konstrukt von “race” biologisch zu unterstützen scheint [10;11]. Deshalb braucht es, wie vorher im Text beschrieben, eine nuancierte Betrachtung von continental ancestry um eben solche Missverständnisse und absichtliche Verdrehungen genetischer Erkenntnisse zu verhindern. Interessanterweise kann aber “race” durchaus relevant sein für Studien, wenn auch anders als gedacht: Stell dir vor, es wird das Vorkommen von Krebserkrankungen in den USA untersucht. Es fällt auf, dass Menschen, die sich im Rahmen der Studie selbst als “black” bezeichnet bzw. “self-reported” haben, häufiger an Krebs erkranken. Liegt das nur an der genetischen Herkunft, die mutmaßlich der “race”-Zuschreibung unterliegt? Oder liegt es daran, dass Menschen mit dieser “race”-Zuschreibung systematisch diskriminiert wurden und werden, und somit eventuell häufiger neben Industriegebieten mit krebserregender Schadstoffbelastung leben, was sich wiederum? Genau das fand eine Studie heraus [14]. 


Zusammengefasst: Die menschliche genetische Vielfalt stellt einen Gradienten dar. Dieser kann geografisch strukturiert sein, was mit der Migrationsgeschichte der Menschheit zusammenhängt. Jedoch gibt es keine diskreten Ketegorien welche "Rassekonzepten" entsprechen, und auch jegliche andere Form von konkreten Kategorisierungen von “Populationen” müssten kritisch reflektiert und nicht zu vereinfacht dargestellt werden. Es gibt auch keine “reinen” Populationen, sondern jede zur Diskussion stehende Herkunftskategorie hat ihre eigene Entstehungsgeschichte welche viele hunderte und tausende Jahre zurückgeht, zwischendurch mit einer heute relevanten Herkunftskategorie verschmilzt, historische Menschengruppen beinhaltet werde heutzutage in dieser Form nicht mehr existieren, und irgendwann wieder zum Ursprung der ersten Homo sapiens in Afrika führt. 


Quellen:

[8] Jenaer Erklärung, https://www.uni-jena.de/22120/jenaer-erklaerung 

[9] Templeton AR. Human races: A genetic and evolutionary perspective. Am Anthropol. 1999;100:632–650.

[10] Anna C. F. Lewis et al. ,Getting genetic ancestry right for science and society.Science376,250-252(2022).DOI:10.1126/science.abm7530

[11] Hunter P. (2014). The genetics of human migrations: Our ancestors migration out of Africa has left traces in our genomes that explain how they adapted to new environments. EMBO reports, 15(10), 1019–1022. https://doi.org/10.15252/embr.201439469

[12] Lipphardt, V. (2012). Isolates and Crosses in Human Population Genetics; or, A Contextualization of German Race Science. Current Anthropology, 53(S5), S69–S82. https://doi.org/10.1086/662574

[13] Lipphardt, V. (2021). Rom*nja als Proband*innen in genetischen Studien. Expertise für die Unabhängige Kommission Antiziganismus. https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/fileadmin/Redaktion/PDF/UKA/Expertise_Rom_nja_als_Proband_innen_in_genetischen_Studien.pdf

[14] Brown, L.M., Hagenson, R.A., Koklič, T. et al. An elevated rate of whole-genome duplications in cancers from Black patients. Nat Commun 15, 8218 (2024). https://doi.org/10.1038/s41467-024-52554-5