1) Definitionsversuche
Das Problem beginnt schon mit der Definition von “genetischer Herkunft” - wonach wird da genau gesucht? Die Forschung ist sich da auch nicht ganz einig. Es kursieren verschiedene Begriffe wie “genetische Herkunft”, “genetische Abstammung”, oder das Englische “genetic ancestry”. Ihre Beschreibung beinhaltet in der Regel:
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geografische Beschreibungen auf verschiedenen Skalen (Kontinent: „Afrika“, Land: „Nigeria“, Stadt: „Ibadan“)
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kulturelle Bezeichnungen (“Yoruba”, “kurdisch”, “uigurisch”)
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ethnisch-religiöse Gruppen („jüdisch“, „drusisch“) Kategorien.
In der Populationsgenetik werden solche Gruppierungen auch als Populationen bezeichnet. Eine Population wird in der Regel definiert als eine Gemeinschaft von Organismen, die derselben Art angehören (z. B. Schimpansen) und sich innerhalb dieser Gemeinschaft vergleichsweise stärker fortpflanzen als eine andere Gemeinschaft dieser Art [1]. Das kann beispielsweise an der räumlichen Entfernung liegen (z.B. zwei Schimpansenpopulationen, die sich auf gegenüberliegenden Seiten eines großen Flusses befinden). Beim Menschen geht man davon aus, dass sich eine Population (sofern nicht die gesamte menschliche Population gemeint ist) durch geografische, kulturelle, religiöse oder sprachliche Einflüsse abgrenzt - etwa durch Berge, die zwei Dörfer voneinander trennen, oder durch Menschen, die sich aus religiösen Gründen oder einfach aufgrund einer Sprachbarriere weniger, kaum oder gar nicht miteinander fortpflanzen im Vergleich zu “ihrer eigenen” Population [1]. Für eine kritische Einordnung, siehe den Aufklapptext “Populationsgenetik & Rassismus”.
Genetische Herkunft impliziert auch eine Abstammungslinie. Wenn mein Vater türkisch ist, dann gelte ich als Person türkischer Herkunft. Wenn nun jemand ohne bekannte türkische Familienangehörige einen Herkunftstest bei einem Unternehmen macht und ihm türkische Abstammung zugewiesen wird, bedeutet das, dass ein großes Familiengeheimnis gelüftet wurde? Nicht unbedingt. Manchmal bedeutet das, was als „genetische Abstammung“ bezeichnet wird, eigentlich „genetische Ähnlichkeit“.
Quellen:
[1] Jobling, M. (2013) ‘Human Evolutionary Genetics, Second Edition’