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Die Freie Universität trauert um Prof., Prof. h.c., Dr. rer.nat., Dr. med. h.c. Randolph Riemschneider der am 22. Februar 2024 im Alter von 103 Jahren verstorben ist

Prof. Riemschneider

Prof. Riemschneider

News vom 16.04.2024

Ein Nachruf für

Prof., Prof. h.c., Dr. rer.nat, Dr. med. h.c.

Randolph Riemschneider

* 17.November 1920, † 22. Februar 2024

 

 

Randolph Riemschneider, geboren am 17. November 1920 in Hamburg, Abitur am humanistischen Matthias-Claudius-Gymnasium in Hamburg, studierte ab 1939 Chemie an den Universitäten in Göttingen, Hamburg und Leipzig.

Bei der Einberufung wurde er als frontuntauglich eingestuft und in der chemischen Kriegsforschung eingesetzt, u.a. bei der Ruhröl GmbH in Bottrop, wo seine Arbeit “Über schmierölartige Kohlenwasserstoffe aus Produkten eines Pech-Hochdruck-Hydrier-Werkes“ entstand, mit der er im Februar 1945 in Jena promovierte. Die weiteren Forschungstätigkeiten von Randolph Riemschneider sind so vielseitig, dass sie hier nur angedeutet werden können.

In Bottrop hatte er bereits mit der systematischen Untersuchung von polychlorierten Kohlenwasserstoffen begonnen, darunter der Herstellung von Hexachlorcyclopentadien (C5Cl6) und der Hypochlorierung und Nachchlorierung von C5Cl6 mit Cyclopentan zu einem Addukt C10H6Cl8, dem sogenannten M410, mit einer weit höheren insektiziden Wirksamkeit als DDT. Es entspricht dem später von Hyman in den USA in den Velsicol-Werken entdeckten Chlordan.

Eine von Riemschneider beschriebene Reaktion, Thiocyanate in Thiocarbamate umzuwandeln, wird als „Riemschneider-Reaktion“ bezeichnet. Sein Biograph Prof. Dr. Heimo Reinitzer aus Hamburg schreibt: „In einem langen und bewegten Gelehrtenleben legte Riemschneider allein oder zusammen mit seinen Mitarbeitern über 1000 Publikationen in namhaften Fachzeitschriften vor, verfasste 14 Bücher, erwarb mehr als 50 Patente und regte mehr als 500 Diplom- und Doktor- und andere Examensarbeiten an in den Jahren 1947 bis 1990 als Mitglied des Lehrkörpers der Kaiser-Wilhelm-, Humboldt-, Freien Universität Berlin und der brasilianischen Bundesuniversität Santa Maria, sowie zusammen mit den japanischen Professoren Y. Morino, S. Takei, und J. Shimozava an den Universitäten in Tokyo, Kyoto und Urawa (Japan) und mit Prof. V.I. Ebert, Universität Wien.“

Die Arbeiten über Polyhalogenkohlenwasserstoffe führten Riemschneider zur Stereochemie. Er gewann dabei Prof Dr. Sankei Takei sowie den Stereochemiker Prof. Dr. Yonezo Morino aus Japan für eine erfolgreiche Kooperation.

Prof. Reinecker, Riemschneiders Lehrer in Göttingen, vermittelte ihm 1946 die Aufnahme in die Arbeitsgruppe von Karl Lohmann. Lohmann war für seine Arbeiten zur Aufklärung der Nukleosidtriphosphate als Energieträger der Zellen zum Nobelpreis vorgeschlagen. Riemschneider habilitierte sich 1946 bei ihm für Organische Chemie und lernte Prof. Dr Sauerbruch kennen. Das führte ihn zur Erforschung von Placenta-Extrakten und zur Kollagenforschung. Auf diesem Gebiet kam es zu einer engen Kooperation mit japanischen Industrieunternehmen. Dafür wurde ihm der Pola Preis der japanischen chemischen Gesellschaft verliehen.

Nach der Gründung der Freien Universität Berlin (FUB) 1948 verließen viele Studenten und Professoren die Ostberliner Universität, so auch Randolph Riemschneider, und gingen nach Dahlem an die FUB. Riemschneider erhielt 1949 den Auftrag, die organisch-chemischen Praktika einzurichten; 1954 wurde er zum apl. Prof. und 1957 zum Extraordinarius ernannt. 1959 wurde durch den Dekan Prof. Dr. Jahr nach dem Tode des Ordinarius für organische Chemie (Prof.Dr.Willy Lautsch) Prof.Dr.Georg Manecke als Nachfolger benannt. Das erbitterte Randolph Riemschneider aufs äußerste, hatte er sich doch schon lange mit Gutachten der Nobelpreisträger Butenandt (München) und Kuhn (Heidelberg) um ein Ordinariat für organische Chemie und Biochemie bemüht. Dies wurde ihm im März 1966 zuerkannt: Er erhielt ein Institut für Biochemie und wurde zum Institutsdirektor ernannt.

Für Chemiestudenten waren dies innovative Jahre: Begründung der Molekularbiologie durch Phagenexperimente (Delbrück/Luria), DNA-Struktur-Aufklärung (Watson/Crick), Entzifferung des genetischen Codes (Nierenberg/Matthaei), usw. Daher gingen viele Chemiestudenten in die Arbeitsgruppe Riemschneider, waren aber enttäuscht, dass er nur organisch-chemische Themen ausgab und bedrängten ihn, einen Biochemiestudiengang einzurichten, wie es Günter Weitzel 1962 in Tübingen gelungen war. Er sah die Chance, erarbeitete die nötigen Vorlesungs- und Seminarunterlagen, während die Mitarbeiter die Praktika und Skripten entwickelten. Bereits 1967 erhielt sein Institut eine Studienrahmenordnung für Biochemie.

Mit der Studentenrevolte ab 1968 und der nachfolgenden Universitäts-Reform brach für Riemschneider eine Welt zusammen. Sein Institut wurde aufgelöst und in ein Zentralinstitut für Biochemie und Biophysik (ZI 5) integriert. Er verlor sein Direktorat, zog sich auf das Anwesen am Ostpreußendamm zurück und fand eine glückliche neue Aufgabe in der Beratung der brasilianischen Universidade de Santa Maria (USM) beim Aufbau der chemischen Institute. Dafür erhielt Riemschneider die Auszeichnungen zum Dr. med. h.c und Prof. h.c .der USM. Nach seiner Emeritierung 1990 fasste Riemschneider sein Lebenswerk in einem 5-bändigen Werk „75 Years Chemistry: Re-Reading“ zusammen.

In Berlin übertrug er seinem ehemaligen Mitarbeiter Eberhard Riedel die Aufgabe, den Biochemiestudiengang zu begleiten sowie nach Auflösung des ZI 5 im Zuge der Reformkorrekturen 1976 die Vertretung des wieder gegründeten Instituts für Biochemie im Fachbereich Chemie wahrzunehmen. Durch die Berufung zweier neuer Biochemiekollegen im Institut, Ferdinand Hucho († 2023) und Volker Erdmann († 2015), gelang es das Institut für Biochemie zu einem „Leuchtturm“ (Worte des Wissenschaftsrats 1996) und den Diplom-Studiengang Biochemie zu einem preisgekrönten Musterstudiengang (Studienstiftung, Bad Godesberg) zu entwickeln.

Wir sind Randolph Riemschneider dankbar, dass er dafür die Grundlagen gelegt hat.

 

Eberhard Riedel