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Inhalationsintoxikation

Königsdisziplin der Ersten Hilfe bei Laborunfällen

Jede andere Verletzung ist äußerlich und kann leicht begutachtet werden. Sicher - auch da sind Sie als frischgebackene(r) Ersthelfer(in) beim ersten Behandlungsfall unsicher.

Bei Lungenintoxikationen sehen Sie aber nichts!

Sie hören auch nicht unbedingt etwas, also z.B. röchelnde Atemgeräusche oder dass das Unfallopfer hustet. Das kann zwar eine Begleiterscheinung sein, muss es aber nicht.

Vor Ihnen steht einfach nur jemand, der ziemliche Angst hat und Ihnen erzählt, dass er/sie etwas eingeatmet hat.

OK, jetzt sind Sie dran - bzw. die Praktikanten, die das üben sollen, nachdem ein entsprechend instruiertes "Unfallopfer" den nämlichen Satz ausgesprochen hat.

Sie haben jetzt Stress:

Sie müssen sich um das Unfallopfer kümmern. Es darf die Lunge nicht mehr belasten und soll sich zumindest hinsetzen, in erkennbar schlimmen Fällen auch gleich hinlegen.

Sicherheitstheoretiker kennen jetzt kein Pardon: Die Feuerwehr muss her!

Das Opfer wird in die Klinik gebracht. Dort hat man natürlich noch weniger Kenntnis über den Hergang und unternimmt eine Plan-B-Prophylaxe, bestehend aus einer Lungenröntgenaufnahme, massiver Cortisongabe und Beobachtung auf der Intensivstation für die nächsten Stunden.

Auch das sind gesundheitliche Belastungen. Wollen Sie das dem Opfer auf jeden Fall zumuten? Gerade Praktikanten sind schon verängstigt, wenn sie nur mal so ein ganz kleines bisschen von irgendwas gerochen haben. Angst macht aber kein Lungenödem!

Also wird jemand losgeschickt, um die Situation am Unfallort einzuschätzen. Das ist sowieso vonnöten, denn wenn es schlimm ist, muss der Unfallort gesichert werden, damit nicht gleich 5 weitere Opfer mit den gleichen Beschwerden erscheinen. Das Unfallopfer soll dazu möglichst genaue Auskunft über den Hergang geben. Schon das kann sehr schwer sein: Beruhigend mit dem Unfallopfer reden aber trotzdem so hurtig wie auch exakt herausbekommen, was wirklich passiert ist! Dann muss man die Entscheidung fällen:

Bagatellfall oder kein Bagatellfall?

Ist man im Zweifel, entscheidet man natürlich auf "kein Bagatellfall" und deshalb "Plan B" - aber wann ist man sicher und wann ist man im Zweifel?

In einem Praktikum sind es die Praktikanten, die immer im Zweifel sind und es ist der Praktikumsleiter, der sich davon nicht verrückt machen lassen darf und der die Nerven behalten und es auch mal auf die eigene Kappe nehmen muss zu sagen: "Beruhigt Euch! Das war jetzt nicht so schlimm."

Ist es kein Bagatellfall, hängt das weitere davon ab, ob mit dem Betriebsarzt die Gabe von Cortisonspray vereinbart wurde. Ist das der Fall, ist jetzt das Spray dran - gleichzeitig dann aber auch der Feuerwehrnotruf. Das Spray nutzt nichts, wenn es nur irgendwo herumsteht, weil man es in Anbetracht des wissenschaftlichen Renommees der Institution für unverzichtbar hält. Man muss es einsetzen wollen. Dazu muss man das vorher geübt haben. Richtiges Üben funktioniert nur, wenn dies von den zuständigen Stellen (Betriebsarzt, Bereichsleitung) forciert unterstützt wird.

Da sich bestimmte Gase in der Bekleidung verfangen, ist ein Kleiderwechsel - und auch das Abduschen oder zumindest das Waschen der Haare eine sinnvolle Option, wobei die Frage ist, was bis zum Eintreffen der Feuerwehr überhaupt noch erledigt werden kann, denn die schnelle professionelle Hilfe ist sicher wichtiger als die eintreffende Feuerwehr mit dem Hinweis zu vertrösten, dass die betroffene Person z.B. noch unter der Dusche steckt und erst in 20 Minuten transportbereit ist.

Es sind also unglaublich viele Entscheidungen zu treffen!

Praktikanten sind in so einer (Übungs-)Situation total überfordert und neigen dazu, hauptsächlich das Spray zu verabreichen. Da es vorkommt, dass im Labor Chemikalien eingeatmet werden, kann man ein solches Unfallgeschehen aber nicht ausblenden und also ist die meist suboptimal abgelaufene Übung der Aufhänger, die notwendigen Maßnahmen noch mal zu thematisieren. Im ernstfall wird es dadurch vielleicht nicht perfekt, wohl aber besser klappen, als wenn man das ("Das klappt sowieso nicht!") ausgeblendet hätte.

Nebenstehende Bilder stammen nicht aus dem Praktikum, sondern aus einer groß angelegten Erste-Hilfe-Übung des Instituts, bei der die "Unfallopfer" passend zurechtgeschminkt und auch entsprechende Unfallszenarien präpariert wurden.

In der Übung für ein Praktikum geht es auch eine Nummer kleiner:

In einem Nebenraum wird eine ausgediente leere Bromflasche mit Cola gefüllt und offen so auf den Boden gelegt, dass etwas braune Flüssigkeit ausläuft. Das "Unfallopfer" soll keine Atemwegs-Symptome "zeigen" sondern einfach nur "Angst haben". Es berichtet den Übenden, dass beim Hantieren "irgendwas" umgekippt sei und dass es jetzt etwas eingeatmet habe. Das "Unfallopfer" soll sich alle Angaben "aus der Nase ziehen" lassen.

Hinweise:

  • Ist die Gabe des Cortisonsprays in der Rettungskette vorgesehen, kann man zu Übungszwecken ein abgelaufenes Dosieraerosol leer sprühen und dann zu Übungszwecken vorhalten. Hersteller solcher Sprays vertreiben aber auch gesonderte Übungssprays, die keinen Wirkstoff, aber Treibmittel enthalten. Man kann damit also "richtige" Sprühstöße auslösen. Auf entsprechende Hygiene (Alkoholdesinfektion nach Gebrauch) ist zu achten.
  • Wenn das Spray vorgehalten wird, muss die Wartung, d.h. der möglichst automatisierte Austausch des Sprays nach Ablauf des Verfalldatums gewährleistet sein. Gleichzeitig muss klar sein, ob grundsätzlich einfache Dosiersprays oder sog. Autohaler beschafft werden, bei denen der Sprühstoß durch das Einatmen des Unfallopfers automatisch ausgelöst wird. Da die Bedienung beider Typen unterschiedlich ist, ist es wichtig, immer den gleichen Spraytyp zu beschaffen.
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