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Zu erwartenden Siedepunkt für eine Vakuumdestillation ermitteln

Wer das vorher macht, hat es einfacher, alles richtig zu machen.

Der Siedepunkt einer Substanz erniedrigt sich bei fallendem Druck. Das "Organikum" enthält dazu ein Diagramm mit einer Auftragung des Siedepunkts gegen den Druck. (Sehen Sie in neueren Auflagen im beiligenden Faltblatt nach!)
 

Nebenstehend sehen Sie eine stark vereinfachte schematische Darstellung dieses Diagramms.

Durch die logarithmische Auftragung ergeben sich für alle wiedergegebenen Lösemitteldaten annähernd parallele Geraden. Den theoretischen Hintergrund für diesen Umstand entnehmen Sie bitte einschlägigen Lehrbüchern der physikalischen Chemie.

Der Nutzen dieses Diagramms besteht im folgenden:Wenn Sie von einer Substanz den Siedepunkt bei irgendeinem Druck kennen und die entsprechenden Koordinaten in dem Diagramm ermitteln, so erhalten Sie einen Punkt, durch den Sie sich eine zu den anderen Geraden parallele Linie denken können.

Diese Linie wird natürlich nicht real eingezeichnet, weil sonst ist das Diagramm bald völlig unbrauchbar würde!

Diese Linie gibt Ihnen das Siedeverhalten "Ihrer" Substanz bei beliebigen Drücken an.

Dieser Sachverhalt wird an den nachfolgenden Beispielen erläutert.

Beispiel 1
Eine Flüssigkeit möge einen Siedepunkt bei Normaldruck von 170 °C haben. Sie überlegen, ob es nicht sinnvoll wäre, eine Destillation der Substanz zu deren Schonung im Vakuum durchzuführen. Sollte man dazu jetzt lieber eine Membranpumpe oder eine Ölpumpe verwenden?

Eine "Praktikumsölpumpe" liefert typischerweise ein Endvakuum von 0,1 mbar, eine Membranpumpe dagegen "nur" 30 mbar. Als erstes suchen Sie in dem Diagramm den bekannten Siedepunkt der Substanz bei Normaldruck auf. (Die Normaldrucklinie befindet sich nahe am oberen Ende des Diagramms.) Vom erhaltenen Punkt ausgehend denken Sie sich die rote Linie parallel zu den eingezeichneten Linien und fahren auf dieser Linie zunächst bis zum 30-mbar-Wert herab. Von diesem Punkt senkrecht nach oben gehend können Sie die zu erwartende Siedetemperatur ablesen: 70 °C. Ein guter Wert!

Wenn Sie hingegen die rote Linie weiter abwärts herunter fahren, stoßen Sie bei etwa 0,4 mbar am linken Rand an. Der zugehörige Siedepunkt beträgt 0 °C. Das ist jetzt schon viel zu niedrig! Der Siedepunkt bei 0,1 mbar läge bei Frosttemperaturen! Ihre Substanz würde schon bei Raumtemperatur in die Pumpe hinein verdampfen und verloren gehen! Nehmen Sie also keinesfalls eine Ölpumpe, sondern die Membranpumpe!

Beispiel 2:
Sie haben eine Literaturvorschrift, nach der Sie eine Substanz im Vakuum destillieren sollen. Angegeben ist eine Siedetemperatur von 90 °C bei einem Druck von 10 mbar. Sie bauen eine Vakuumdestillationsappartur auf und verwenden zum Evakuieren eine Membranpumpe. Beim Inbetriebnehmen der Apparatur stellen Sie fest, dass Sie ein Endvakuum von 30 mbar erhalten. Mit welchem Siedepunkt ist jetzt zu rechnen?

Als erste suchen Sie wieder den Punkt in dem Diagramm, der das literaturbekannte Siedeverhalten wiederspiegelt. Durch diesen Punkt denken Sie sich wie schon im Beispiel 1 eine zu den anderen parallele Linie und wandern auf dieser ein kleines Stück aufwärts bis zum Erreichen der 30-mbar-Marke. Von dort senkrecht nach oben gehend können Sie ablesen: Es ist mit einem Siedepunkt von 115 °C zu rechnen.

 

Beispiel 3:
In Ihrem Versuch sollen Sie eine flüssige Substanz herstellen, die abschließend zu destillieren ist. Als Literaturangabe finden Sie eine Siedetemperatur von 70 °C bei 0,1 mbar. Im Reaktionsansatz war Toluol zu verwenden, welches vor der Destillation am Rotationsverdampfer entfernt werden soll. Dort wird doch aber auch schon evakuiert! Kann es sein, dass das gewünschte Produkt im Rotationsverdampfer versehentlich mit abdestilliert und damit verloren ist?

Wie auch in den vorangegangenen Beispielen suchen Sie im Diagramm als erstes den Punkt, der die bekannten Siededaten repräsentiert und fahren dann die parallel gedachte Linie hoch bis zum Druck, der in einem Rotationsverdampfer herrscht. Im schlimmsten Fall, wenn nämlich mit dem kleinstmöglichen Vakuum am Rotationsverdampfer abdestilliert worden ist, wären das etwa 30 mbar.

Der zugehörige Siedepunktswert wäre nach dem Diagramm 170 °C. Machen Sie sich also keine Sorgen, dass Sie beim Einengen am Rotationsverdampfer Ihr kostbares Produkt verlieren. Ganz im Gegenteil kriegen Sie bei der Vakuumdestillation durch die dann übersprudelnden Lösemittelreste erheblichen Ärger, wenn Sie das Lösemittel vor der Destillation nicht sorgfältig abtrennen.

 


 

Im Umgang mit dem Diagramm des "Organikums" war vom Abschätzen des Siedeverhaltens die Rede. Geht das nicht genauer? Sie könnten natürlich recherchieren, ob auch für Ihre konkrete Substanz bereits Literaturdaten vorliegen. Für Ihr Destillationsproblem ist dieser Aufwand nicht gerechtfertigt. Informieren Sie sich über die möglichen Fehler, die eine Ursache dafür sein können, dass das, was Sie am Manometer als Druck ablesen, nur bedingt etwas mit dem Druck zu tun hat, der tatsächlich in der Apparatur herrscht. Für Ihre Destillation macht es also gar keinen Sinn, die Druck-/Siedetemperatur-Abhängigkeit genauer kennen zu wollen.
Gibt es auch andere Methoden? Andere Lehrbücher verwenden Nomogramme, um die Siededaten bei unterschiedlichen Drücken zu bestimmen. Sie brauchen dazu ein Lineal. Das ist freilich auch bei der Verwendung des Organikum-Diagramms nützlich. Zur Not tut es hier aber auch der Finger allein. Die Firma Aldrich bietet ein animiertes Online-Nomogramm an.

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