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Forschung und Lehre

Aktuelles Forschungsprojekt

Die akkurate Beurteilung der Leistungen einzelner Lernender sowie die Beurteilung ihrer individuellen Lernvoraussetzungen gehören zu den wichtigsten Aufgaben und Herausforderungen, denen sich Lehrende stellen müssen (Kaiser & Möller 2017, 56). Da jene Einschätzungen die Grundlage der Planung zukünftiger Unterrichtssequenzen darstellen (McElvany et al. 2009, 232), liegt es nahe, anzunehmen, dass die Fähigkeit zur akkuraten Leistungsbeurteilung auch einen positiven Einfluss auf den Lernzuwachs der Schülerschaft hat (Möller et al. 2016, 16). Dementsprechend ist es essenziell, die diagnostischen Kompetenzen (angehender) Lehrender zu erfassen, mögliche Defizite zu identifizieren und gegebenenfalls bestmögliche Fördermaßnahmen einzuleiten.

Die empirische Erfassung diagnostischer Kompetenzen Lehrender gestaltet sich aufgrund der Vielzahl praktisch kaum zu kontrollierender Variablen als schwierig. Um die diagnostischen Kompetenzen Lehrender dennoch valide und reliabel erfassen zu können, wurde der Simulierte KlassenRaum (SKR) entwickelt. Hierbei handelt es sich um ein digitales Tool, das die Simulation komplexer und dynamischer Interaktionen zwischen Lehrenden und Lernenden ermöglicht (Südkamp 2010; Kaiser et al. 2013). Auch wenn der SKR die Interaktionen Lehrender und Lernender lediglich simuliert, konnte bereits gezeigt werden, dass sich mit seiner Hilfe wertvolle Einsichten in quasi-authentische und realistische Unterrichtsgespräche gewinnen lassen (Bolte et al. 2011; 2021).

Bisherige Untersuchungen zu diagnostischen Kompetenzen Lehrender mit Hilfe des SKR haben drei zentrale Befunden hervorgebracht: Die Bildung der Rangreihenfolge der Schüler*innen gelingt angehenden Lehrenden recht gut; das mittlere Leistungsniveau der Klasse wird (leicht) überschätzt; die Streuung der Leistungen einer Lerngruppe (Leistungsheterogenität) wird unterschätzt (Südkamp et al. 2008; Südkamp und Möller 2009; Südkamp 2010). In Hinblick auf diese Befunde ist jedoch anzumerken, dass ältere Untersuchungen (siehe Südkamp 2010) lediglich eine Beurteilung der Leistungen einzelner Schüler*innen vornehmen ließen, den Probanden also nur personenbezogene Beurteilungen abverlangen (siehe Schrader 1989, 57). Aktuellere Untersuchungen hingegen (siehe Bolte 2011; 2021) verlangten den Lehrenden ebenfalls Beurteilungen der fachlichen Korrektheit der Aussagen der Lernenden ab. Neben diesen beiden Beurteilungsdimensionen beschreibt Schrader (1989, 57) eine weitere Dimension, welche die Beurteilung der Schwierigkeiten einzelner Aufgaben umfasst. Diese Beurteilungsdimension wurde in vorangegangenen Untersuchungen mittels des SKR nicht berücksichtigt, so dass es unklar ist, inwiefern die Ergebnisse vorangegangener Untersuchungen die tatsächlichen diagnostischen Kompetenzen angehender Lehrende valide abbilden.

Neben der Erfassung spielt auch die Förderung diagnostischer Kompetenzen eine zentrale Rolle in der Lehrerausbildung (KMK 2019). Die bisher gewonnenen Erkenntnisse hinsichtlich diagnostischer Kompetenzen sind jedoch nicht ausreichend, um dem Bedarf an Förderung gerecht zu werden (Schrader 2011). So gibt es lediglich erste Hinweise darauf, dass durch wiederholtes Üben mit Hilfe des SKR eine Verbesserung der Diagnoseleistung erreicht werden kann (Bolte 2021). Da Bolte (2021) lediglich zwei Durchläufe des simulierten Klassenraums durchführen ließ, ist nicht abschließend geklärt, inwiefern das Absolvieren weiterer Durchläufe zu weiteren Verbesserungen diagnostischer Kompetenzen (angehender) Lehrende beiträgt.

Im Rahmen meines Promotionsvorhabens plane ich, einen neuen simulierten Klassenraum für das Fach Chemie zu entwickeln und zu erproben, um die folgenden, theoriegeleiteten Forschungsfragen zu beantworten:

1.         Wie gut gelingt es (angehenden) Lehrenden, die Leistungen simulierter Schüler*innen zu beurteilen, wenn sie personenbezogene und aufgabenbezogene sowie fachdidaktische Beurteilungen der Richtigkeit einzelner Schüler*innen-Aussagen vornehmen müssen?

2.         Inwiefern bestehen Interdependenzen zwischen den Veridikalitäten angehender Lehrender bei personenbezogenen und aufgabenbezogenen Beurteilungen sowie fachdidaktischen Beurteilungen der Richtigkeit von Schüler*innen-Aussagen?

3.         Inwiefern eignet sich der simulierte Klassenraum zur Förderung diagnostischer   Kompetenzen (angehender) Lehrender des Fachs Chemie?

 

Bolte, C., Köppen, G., Möller, J., Südkamp, A. (2011). Kompetenzdiagnostik im virtuellen naturwissenschaftlichen Unterricht. In: D. Höttecke (Ed.): Naturwissenschaftliche Bildung als Beitrag zur Gestaltung partizipativer Demokratie. Zur Didaktik der Physik und Chemie. Probleme und Perspektiven. Münster: Lit-Verlag. (pp. 146-148).

Bolte, C., Stollin, F., Möller, J., Südkamp, A., (2021). Analyse diagnostischer Kompetenzen von (angehenden) Chemielehrer*innen. In: Ch. Maurer, K. Rincke, & M. Hemmer (2021; Eds.). Fachliche Bildung und digitale Transformation – Fachdidaktische Forschung und Diskurse. Fachtagung der Gesellschaft für Fachdidaktik 2020. Regensburg: Universität. (pp. 173-176).

Kaiser, J., Retelsdorf, J., Südkamp, A., & Möller, J. (2013). Achievement and engagement: How student characteristics influence teacher judgments. Learning and Instruction, 28, pp. 73–84. http://dx.doi.org/10.1016/ j.learninstruc.2013.06.001

Kaiser, J. & Möller, J. (2017). Diagnostische Kompetenz von Lehramtsstudierenden. In: Gräsel & Trempler (2017). Entwicklung von Professionalität pädagogischen Personals, 55 –73. Wiesbaden: Springer.

KMK – Sekretariat der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2019). Standards für die Lehrerbildung: Bildungswissenschaften. Abgerufen unter: https://www.kmk.org/fileadmin/veroeffentlichungen_beschluesse/2004/2004_12_16-Standards-Lehrerbildung-Bildungswissenschaften.pdf.

McElvany, N., Schroeder, S., Hachfeld, A., Baumert, J., Richter, T., Schnotz, W., Horz, H., & Ullrich, M. (2009). Diagnostische Fähigkeiten von Lehrkräften bei der Einschätzung von Schülerleistungen und Aufgabenschwierigkeiten bei Lernmedien mit instruktionalen Bildern. Zeitschrift für pädagogische Psychologie (Bern, Switzerland), 23(3-4), 223–4<223–235. https://doi.org/10.1024/1010-0652.23.34.223 Möller, J., Machts, N., Retelsdorf, J. (2016). Diagnostische Kompetenz von Lehrkräften. Merkmale, Instrumente, Urteilsverzerrungen.  Schulmanagement 4, pp. 14-17.

Schrader, F.-W. (1989). Diagnostische Kompetenzen von Lehrern und ihre Bedeutung für die Gestaltung und Effektivität des Unterrichts. Frankfurt am Main: Peter Lang (p. 57).

Schrader F.-W. (2011). Lehrer als DIagnostiker. In: E. Terhart, H. Bennewitz & M. Rothland (Hrsg.), Handbuch zur Forschung zum lehrerberuf (S. 683 – 698). Münster: Waxmann.

Südkamp, A., Pohlmann, B., & Möller, J. (2008, March). The Simulated Classroom: An Experimental Study on Diagnostic Competence, Poster presented at the Annual Meeting of the American Educational Research Association. New York City, USA.

Südkamp, A., & Möller, J. (2009). Referenzgruppeneffekte im Simulierten Klassenraum: direkte und indirekte Einschätzungen von Schülerleistungen. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 23, pp. 161 – 174.

Südkamp, A. (2010). Diagnostische Kompetenz: Zur Genauigkeit der Beurteilung von Schülerleistungen durch Lehrkräfte. Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Philosophischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (eingereicht im Juli 2010).