Springe direkt zu Inhalt

Häufige falsche Vorstellungen über Chemie und das Chemiestudium

Es gehört zum Selbstverständnis von Chemikern, auch mit gefährlichen Substanzen sicher umgehen zu können. Derartigen Umgang muss man üben. Und man muss entsprechende Instruktionen erhalten, wie man mit diesen Substanzen umzugehen hat. Es ist also nicht so, dass wir Sie in ein Labor stecken - und wer da lebend wieder rauskommt, ist halt Chemiker(in), sondern Sie lernen Stück für Stück auch schwierige Substanzen zu handhaben. Sowohl im Bachelor- wie auch im Masterstudium haben Sie dabei immer Anleitung durch Assistenten.

Ohne gefährliche Substanzen geht es leider nicht. Die monomeren Rohstoffe, aus denen man Kunststoffe herstellen kann, sind zum Beispiel oft hochentzündlich, manchmal auch sehr toxisch. Im fertigen Polymerprodukt merkt man davon nichts mehr. Trotzdem ist es eines der Ziele chemischer Forschung, auch bei der Herstellung eines Produkts problematische Stoffe zu vermeiden. Ein gutes Beispiel ist die Lackindustrie, die aktuell eine geradezu revolutionäre Umstellung auf überwiegend lösemittelarme Lacke hinter sich hat.

Chemie ist nicht das Gegenteil von "Bio", sondern Chemie bedeutet Fortschritte für die Lebensbedingungen der Menschen.

Dass Sie "viel" auswendig drauf haben müssen, stimmt schon. Wenn Sie eine Vorstellung davon haben wollen, wie man ein Molekül "machen kann", müssen Ihnen viele Reaktionen geläufig sein. Wenn Sie ein Molekül spektroskopisch charakterisieren wollen, sollten Sie eine Erwartungshaltung haben, was das Spektrum Ihnen zeigen wird. Sie können nicht bei jeder Bande nachschlagen ob - jemand anderes - dafür schon eine Deutung gefunden hat oder nicht. Wenn Sie Gesetzmäßigkeiten von chemischen Prozessen untersuchen wollen, sollten Ihnen wichtige bekannte Gesetzmäßigkeiten auswendig geläufig sein. Sie können nicht jede Formel immer wieder herleiten oder sie im Lehrbuch nachschlagen.

Es wäre aber ein vollkommen falsches Bild, der Chemie zu unterstellen, man müsse nur ganz viel auswendig lernen und dann ist man ein(e) richtige(r) Chemiker(in). Das Präsenzwissen ist vielmehr stark vernetzt. Chemische Reaktionen folgen zum Beispiel Prinzipien. Eines dieser Prinzipien ist, dass Moleküle oft keine gleichmäßige Ladungsverteilung haben, sondern in irgendeiner Weise polarisiert sind, so dass es positive und negative Zentren gibt. Bei einer chemischen Reaktion reagieren dann gern die eher positiven Zentren des einen Moleküls mit den eher negativen Zentren des anderen Moleküls. Wenn Sie ganz viele Reaktionen kennen und "auswendig gelernt" haben, werden Sie einen "Riecher" dafür entwickeln, was geht und was nicht. Sie werden dann auch eine Ihnen unbekannte Reaktion spontan wenigstens prinzipiell verstehen. Die in der physikalischen Chemie verwendeten Formeln beschreiben per se Abhängigkeiten von chemischen Eigenschaften oder chemischen Reaktionen und dienen dazu zu berechnen, wie ein System reagiert, wenn man Parameter wie zum Beispiel den Druck oder die Konzentration eines Reaktanden ändert.

Chemie hat viel mit einem Detektivspiel gemein: Wer viel (auswendig) weiß, hat auch von einem neuen System schon eine gute Vorstellung und kann sehr zielgerichtete Fragen an das System stellen. Diese Fragen werden durch das Experiment gestellt. Die Natur antwortet, indem das Experiment in erwarteter Weise abläuft oder nicht. Der "gute Detektiv" zieht aus dem Ergebnis viele Schlussfolgerungen und stellt neue Fragen an das System (=denkt sich ein neues Experiment aus). Wer nicht so viel weiß, macht auch irgendwelche Experimente, die aber "ins blaue gehen" und wenig neue Erkenntnisse bringen oder Erkenntnisse wiederholen, die andere schon längst gemacht haben.

Das Statement ist grundfalsch!

Ja, es gibt Chemikalien, die stinken und - ja, es gibt Reaktionen, die heftig ablaufen.

Film und Fernsehen bedienen gern dieses Klischee - und manche universitäre Weihnachtsvorlesung tut dies - mit Verlaub - auch, denn - ja, wir Chemiker demonstrieren auch mal ganz gern, dass wir auch mit dem Teufel souverän umzugehen wissen.

Chemische Forschung dient aber dazu, chemische Prozesse verstehen zu lernen mit dem Ziel

  • Stoffe mit hohem Nutzwert und mit wenig unerwünschten Eigenschaften hervorzubringen oder
  • schädliche Prozesse unter Kontrolle zu bringen oder
  • günstige Prozesse nutzbar zu machen.

Ob der Gestank einer Chemikale den Nutzeffekt überwiegt und die Chemiekalie also unbrauchbar macht, ist eine Einzelfallentscheidung. Explosionen gehören im allgemeinen zu den unerwünschten Eigenschaften und werden daher abseits von Weihnachtsvorlesungen sorgsamst gemieden.

Sie werden schon in den ersten Semestern lernen, dass der beste Lernfortschritt in der Gruppe gegeben ist, in der Sie über den Lernstoff diskutieren und sich gegenseitig beim Verstehen helfen. Sich in Lerngruppen zu organisieren fällt übrigens leicht, weil das Bachelorstudium am besten nach dem empfohlenen Verlaufsplan studiert wird, weshalb eine Studienkohorte so gut wie nie getrennt wird sondern das gesamte Bachelorstudium gemeinsam durchlebt.

Arbeitsgruppen, in denen Sie ein Forschungsprojekt absolvieren oder eine Bachelor- oder Masterarbeit anfertigen oder in der Sie promovieren bestehen aus Teams die gemeinsam an einer Aufgabe arbeiten und sich gegenseitig zuarbeiten müssen. Schon im Bachelorstudium üben Sie professionelle Präsentationstechniken in Wort und Schrift, diskutieren in Übungsgruppen über den Stoff und auf dem Weg in die Mensa wird - die Dozenten freut's - manchmal auch noch über Chemie geredet.

Sie werden andauernd über Chemie reden, diskutieren, vortragen und sich austauschen und das ganz gewiss nicht in Selbstgesprächen.

Ein bisschen stimmt dieses Statement in diesem Falle doch. Die Natur tut uns leider nicht den Gefallen, ihre Gesetzmäßigkeiten so einfach zu gestalten, dass man sie spontan begreifen und verstehen könnte. Chemie ist aber nicht schwerer als andere Naturwissenschaften. Was Chemiestudierende allerdings zusätzlich belastet, sind die langen Laborzeiten und die damit verbundenen hohen Präsenzzeiten. Wenn woanders um 15:00 die Vorlesungen vorbei sind und die häusliche Vor- und Nacharbeit beginnen kann, stehen Chemiestudierende oft bis 18:00 oder gar 19:00 im Labor. Wer die Zeit, wo ein Experiment kein Eingreifen verlangt sondern nur beaufsichtigt werden muss, "verquatscht", hat abends das Problem, dass es dann wohl eine lange Nacht werden wird.

Das Problem ist heutzutage nicht mehr so gravierend, da zum Schreiben der Protokolle und zum Vor- und Nachbereiten der Vorlesungen im wesentlichen ein Computer gebraucht wird, den man heutzutage als Laptop leicht überall bei sich haben kann.