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Chemie ist hauptsächlich Auswendiglernen

Dass Sie "viel" auswendig drauf haben müssen, stimmt schon. Wenn Sie eine Vorstellung davon haben wollen, wie man ein Molekül "machen kann", müssen Ihnen viele Reaktionen geläufig sein. Wenn Sie ein Molekül spektroskopisch charakterisieren wollen, sollten Sie eine Erwartungshaltung haben, was das Spektrum Ihnen zeigen wird. Sie können nicht bei jeder Bande nachschlagen ob - jemand anderes - dafür schon eine Deutung gefunden hat oder nicht. Wenn Sie Gesetzmäßigkeiten von chemischen Prozessen untersuchen wollen, sollten Ihnen wichtige bekannte Gesetzmäßigkeiten auswendig geläufig sein. Sie können nicht jede Formel immer wieder herleiten oder sie im Lehrbuch nachschlagen.

Es wäre aber ein vollkommen falsches Bild, der Chemie zu unterstellen, man müsse nur ganz viel auswendig lernen und dann ist man ein(e) richtige(r) Chemiker(in). Das Präsenzwissen ist vielmehr stark vernetzt. Chemische Reaktionen folgen zum Beispiel Prinzipien. Eines dieser Prinzipien ist, dass Moleküle oft keine gleichmäßige Ladungsverteilung haben, sondern in irgendeiner Weise polarisiert sind, so dass es positive und negative Zentren gibt. Bei einer chemischen Reaktion reagieren dann gern die eher positiven Zentren des einen Moleküls mit den eher negativen Zentren des anderen Moleküls. Wenn Sie ganz viele Reaktionen kennen und "auswendig gelernt" haben, werden Sie einen "Riecher" dafür entwickeln, was geht und was nicht. Sie werden dann auch eine Ihnen unbekannte Reaktion spontan wenigstens prinzipiell verstehen. Die in der physikalischen Chemie verwendeten Formeln beschreiben per se Abhängigkeiten von chemischen Eigenschaften oder chemischen Reaktionen und dienen dazu zu berechnen, wie ein System reagiert, wenn man Parameter wie zum Beispiel den Druck oder die Konzentration eines Reaktanden ändert.

Chemie hat viel mit einem Detektivspiel gemein: Wer viel (auswendig) weiß, hat auch von einem neuen System schon eine gute Vorstellung und kann sehr zielgerichtete Fragen an das System stellen. Diese Fragen werden durch das Experiment gestellt. Die Natur antwortet, indem das Experiment in erwarteter Weise abläuft oder nicht. Der "gute Detektiv" zieht aus dem Ergebnis viele Schlussfolgerungen und stellt neue Fragen an das System (=denkt sich ein neues Experiment aus). Wer nicht so viel weiß, macht auch irgendwelche Experimente, die aber "ins blaue gehen" und wenig neue Erkenntnisse bringen oder Erkenntnisse wiederholen, die andere schon längst gemacht haben.