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Müssen die Studenten keine Betriebsanweisungen erstellen?

Auch wenn das immer wieder an armen Grundpraktikanten (komischerweise ja meist nur an denen) praktiziert wird: Schön übersichtlich - am besten in eine Tabelle zusammengetragene Safety-Daten bleiben ein Datenquark, wenn sie nicht der Beginn einer Sicherheitsanweisung sind, sondern schon deren Ergebnis. Die dabei unter Beweis zu stellende Kompetenz, Flaschenetikettdaten abschreiben zu können, erfährt durch deren stoische Wiederholung z.B. für die im Praktikum immer wieder verwendeten gleichen Lösemittel, noch eine Verstärkung des Sonderschul-Geschmäckles.

Wenn dann nicht mal die Assistenten den Dokumentationshokuspokus verstehen (Eine Wassergefährdungsklasse ist nun mal nicht dazu da, um zu entscheiden, ob irgendwas ins Abwasser gekippt werden kann), das Formular aber gefahrstoffverordnungskompatibilitätheischend layoutet und prüfvermerkt ist ("Präparat freigegeben") wird klar, wozu das gut ist: Damit lässt sich prächtig vor den Augen eines Aufsichtsbeamten wedeln, den Studierenden aber nutzt es gar nichts! Die haben aber ein feines Gespühr dafür, dass sich Assistenten und Praktikumsleitung damit im Fall des Falles aus der Affäre ziehen wollen - und sind verängstigt!

Ja, der Text des Flaschenetiketts und das recherchierte Freisetzungspotential (z.B. Dampfdruck) sind dazu da, einen ersten Anhaltspunkt für das Gefahrenpotential einer Substanz zu geben. Niemals kann das aber auch nur ansatzweise die Expertise beim Umgang ersetzen! Die Vermittlung dieser Expertise ist die Universität den Praktikanten schuldig! Wer es das erste Mal z.B. mit Chlorsulfonsäure zu tun bekommt, braucht konkrete Anleitung - keine Tabellen mit H-Sätzen!

Moderne Arbeitssicherheit vermittelt ein nebulöses "das-ist-gefährlich-und-das-ist-auch-gefährlich-und-das-und-das-und-das-ist-alles-auch-gefährlich". Sie entartet zur Sicherheiteritis! Immer mehr Praktikanten experimentieren nur deshalb unsicher, weil ihnen die Hände vor Angst zittern, wenn Sie aus einer Bromflasche etwas abfüllen sollen und der braune Dampf im Abzug herumwabert, von dem sie gerade gelernt haben, dass schon "wenige Atemzüge für ein tötliches Lungenödem ausreichen".

Hier gegenzusteuern, den Praktikanten also mit einem "Wenn-Du-das-so-machst-und-dies-soundso-dann-kann-Dir-eigentlich-nichts-passieren." Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu vermitteln, ist in einem Grundpraktikum heutzutage die herausragende Aufgabe in der Sicherheitsausbildung!

Kein Mensch würde auf die Idee kommen, Studierenden zu sagen, dass sie sich in ihrem Studium die Chemie selbst beibringen sollen. Ganz im Gegenteil ist das Vermitteln von Lehrinhalten das vornehme Recht der mit der "venia legendi" gesegneten Professoren. Wenn man nun aber den Studierenden sagt: "Macht Euch mal Eure Betriebsanweisungen selbst!": Ist das nicht das Eingeständnis, dass man in diesen Dingen unbewandert ist und nichts zu sagen hat?

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