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Projekt Sarah Dannemann

Entwicklung und Evaluation eines Diagnoseinstruments für Schüler*innenvorstellungen zum Sehen und zur Wahrnehmung und sein Einsatz im Unterricht

Die Berücksichtigung von Schüler*innenvorstellungen wird als einer der wichtigsten Faktoren für gelingendes Lernen angesehen. Im Rahmen dieses Projektes, das in Kooperation mit der Arbeitsgruppe von Harald Gropengießer (Leibniz-Universität Hannover) durchgeführt wird, werden bisherige Erkenntnisse der Vorstellungsforschung genutzt und um eine Diagnosevariante sowie erprobte Interventionsmöglichkeiten für die Schulpraxis ergänzt. Das Modell der Didaktischen Rekonstruktion stellt den theoretischen Rahmen der Studie dar (Kattmann 2007).

Für die Diagnose von Schüler*innenvorstellungen zum Sehen und zur Wahrnehmung wurde ein Computerprogramm mit geschlossenen Items entwickelt (Grundlagen waren u. a. die qualitativen Studien von Kärrqvist 1983; Jung 1981; Guesne 1992; Galili 1993; Wiesner 1994; Gropengießer 2001, 2003). Sie wurden über den Vergleich mit Interviews und Eye Tracking-Daten (N = 168) validiert (Dannemann & Krüger 2009, Hofmann, Dannemann, Krüger & Nordmeier 2009, Dannemann & Krüger 2010). Das Programm bietet damit eine differenzierte, zuverlässige und schnelle Diagnosemöglichkeit von individuellen Vorstellungsmustern auf der Grundlage von 26 Einzelkonzepten für die Schulpraxis. Die Ergebnisse der Auswertung, also die individuellen Vorstellungen des jeweiligen Schülers, werden vom Programm als Punktewerte tabellarisch für sechs Hauptthemengebiete zusammengefasst: die Rollen des Lichts, des Gehirns und des Auges beim Sehen, Sehrichtungen, Alltäglicher Realismus und Bildentstehung. Das Abstraktionsspektrum umfasst also sowohl Vorstellungen von direkt erfahrbaren Phänomenen, z. B. Licht, als auch rein imaginativ erschließbare Konzepte, wie die Sehrichtungen, bzw. epistemologische Aspekte wie den Alltäglichen Realismus.

Für die Vermittlung der wissenschaftlichen Konzepte wurden Lernangebote entwickelt, die ein/e Schüler*in bezogen auf seine individuelle Programmauswertung direkt nach der Bearbeitung durchläuft. Die Vermittlungsangebote sind in Anlehnung an die Conceptual-Change-Theorie (Strike & Posner 1992; vgl. Krüger 2007) gestaltet. Auch sprachliche Aspekte (individuelle Ausdrücke, Metaphern, Analogien) bestimmter Konzepte, wie z. B. Bild, Alltäglicher Realismus, Sehrichtungen, Sehen als aktiver oder passiver Prozess, werden – nach der Theorie des Erfahrungsbasierten Verstehens (Lakoff & Johnson 1997) – explizit in den Lernangeboten thematisiert.

In einer Feldstudie im Pre-Post-Follow-up-Testdesign an drei Schulen (N = 217) wurde getestet, in welchem Maße das Erwerben wissenschaftlicher Konzepte effektiver und nachhaltiger ist, wenn die individuellen Vorstellungen der Schüler*innen explizit im Unterricht berücksichtigt werden. Erste Ergebnisse weisen darauf hin, dass Schüler*innen der Interventionsgruppe sowohl direkt erfahrbare als auch imaginativ zu erschließende und epistemologische wissenschaftliche Vorstellungen signifikant häufiger erwerben als die Schüler*innen der Kontrollgruppe. Diese hatten mit denselben Materialien gelernt – allerdings ohne dass sie zu ihren individuellen Vorstellungen passten. Auch hier zeigten sich bei einigen Konzepten, insbesondere den direkt erfahrbaren Themen, signifikante Veränderungen in Richtung wissenschaftlicher Vorstellungen. Bei einer dritten Gruppe, die keinerlei Unterricht zum Thema Sehen und Wahrnehmung hatte, zeigte der Post-Test keine signifikanten Veränderungen.

Momentan wird mit einem Follow-up-Test drei Monate nach der Intervention geprüft, inwiefern das Lernen wissenschaftlicher Vorstellungen in den Gruppen nachhaltig erfolgte.

 

Literatur:

Galili, I., Bendall, S. & Goldberg, F. (1993): The effects of prior knowledge and instruction on understanding image formation. Journal of Research in Science Teaching 30, 271-301.

Gropengießer, H. (2001). Didaktische Rekonstruktion des Sehens. Wissenschaftliche Theorien und die Sicht der Schüler in der Perspektive der Vermittlung. BzDR 1. Oldenburg: DiZ.

Gropengießer, H. (2003). Lebenswelten / Denkwelten / Sprechwelten. Wie man Vorstellungen der Lerner verstehen kann. BzDR 4. Oldenburg: DiZ.

Guesne, E. (1992): Light. In: Driver, R., Guesne, E. & Tiberghien, A. [Hrsg.]: Children’s Ideas in Science. Milton Keynes, Open University Press, 10-32.

Jung (1981): Erhebungen zu Schülervorstellungen in Optik (Sekundarstufe 1). In: Physica didactica 8, S. 137-156.

Kärrqvist, C. & Andersson, B. (1983): How swedish pupils, age 12-15, understand light and its properties. In: Helm, H. & Novak, J. D. [Hrsg.]: Proceedings of the International Seminar on “Misconceptions in Science and Mathematics”. Ithaca, New York, 380-392.

Kattmann, U. (2007):Didaktische Rekonstruktion – eine praktische Theorie. In: D. Krüger & H. Vogt (Hrsg.), Theorien in der biologiedidaktischen Forschung. Berlin: Springer, S. 93-104.

Lakoff, G. & Johnson, M. (1997). Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern. Heidelberg: Carl-Auer Verlag.

Strike, K. & G. Posner (1992): A Revisionist Theory of Conceptual Change. In: Duschl, R. A. & Hamilton, R. [Eds.]: Philosophy of science, cognitive psychologies and educational theory and practice. State University of New York Press, New York, 147-176.

Wiesner,H. (1994): Verbesserung des Lernerfolgs im Unterricht über Optik. In: Physik in der Schule, S.51-54.